Predigt zum Vorabendgottesdienst zum Tag der Deutschen Einheit, 2. Oktober 2024

Predigtarchiv

Predigt zum Vorabendgottesdienst zum Tag der Deutschen Einheit, 2. Oktober 2024

13.10.2024

über Jeremia 29, 4 - 14 (Lut 17); gehalten in der römisch-katholischen Gemeinde St. Johannis zu Freiberg von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand

Lesung des Predigttextes Jeremia 29,4-14

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Stille…

Liebe Gemeinde,

eine Zeltstadt. Stadtrand von Kusch am Tigris. Ein Handwerker schlendert am Fluss entlang. Von Westen scheint ihm die wärmende Abendsonne ins Gesicht. Wie wohltuend, hier in diesem fremden Land. Sehnsucht nach der Heimat, dem eigenen Haus in Jerusalem, von dem vor einigen Jahren verschleppt worden war. Hier ein einfaches Zelt: im Sommer heiß, im Winter eisig kalt. Die Einheimischen abweisend. Immerhin noch ein paar andere Zelte mit Leuten aus Juda. Trauer, Sehnsucht, trotzdem ist es auch schön hier am Fluss, er hat auch hier Menschen kennen gelernt, die ihn achten, die seine Handwerkskunst zu schätzen wissen. Stolz. Wie soll es weitergehen? Hierbleiben? Ein neues Haus in der Stadt bauen? Hat es Zweck auf eine Rückkehrt nach Juda zu warten? Es gibt auch Propheten hier. Sie raten: „lass dich nieder. Akzeptiere die Sitten, die Religion der Babylonier.“ Und heute ein irritierender Brief aus der Heimat von einem Propheten namens Jeremia. Er ruft zur Geduld und weissagt eine Rückkehr nach Jerusalem. Aber gleichzeitig ruft er auch dazu auf: „Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.“ Ein krasser Widerspruch. Ein krasse Herausforderung: führe das Leben hier vor Ort. Ja, „suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen.“ Und gleichzeitig aber: nach 70 Jahren ist mit einer Rückkehr zu rechnen.

Freilich: da ist die historische Distanz. Da ist die kulturelle Distanz. Ich bin nie im Zweistromland gewesen. Die Aussicht auf Rückkehr nach Jerusalem: ist sie mir wirklich Trost? – bei all der Schönheit der heutigen Stadt, die im Moment so massiv durch Bomben bedroht ist. Fremdheit, ein Stück weit ja, aber zum Glück musste ich nie ein Exil, eine Flucht erleiden…. In die Fremde gezwungen, kein echtes Dach über dem Kopf. Da sind diese vertriebenen Israeliten zwischen Anpassung und Ausharren – Sehnsucht nach der Heimat. Anpassung an die fremden Bräuche und Sitten, ja Anpassung an Fremde Götter, eine Fremde Religion. Und doch kenne ich auch die Gefühle: Sehnsucht nach der Heimat, manchmal Fremdheit in der eigenen Stadt. Meine Heimatstadt ist Pfaffenhofen in Bayern. Da leben meine Eltern, meine Familie, Freunde. Da kenne ich jeden Quadratmeter. An jeder Ecke dieser Stadt gibt es eine Geschichte in meinem Leben, die ich damit verbinde. Traurige Geschichten, Fröhliche Geschichten, Banale Geschichten. Da ist der Geruch der Maische unserer Brauereien, der Geruch der Babynahrungsfabrik Hipp an einem kühlen Herbstmorgen. Einfach Heimat. Welche ist Ihre Heimat?

Und jetzt bin ich hier in Freiberg – auch dank der Einheit unseres schönen Landes, so konnte ich Leipzig meine Frau aus der Oberlausitz kennenlernen. Heute zwei wunderbare Kinder: Constantin und Josephine. Und so leben wir in der Mitte unserer beiden Heimaten. Ja, jetzt bin ich in Freiberg. Man könnte auch sagen: durchaus auch noch fremd… (so lange bin ich noch nicht da.) Und Jeremia schreibt: „Suchet der Stadt Bestes…denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s euch auch wohl.“ Ich lese das als eine Ermutigung. Mich hier, ganz konkret vor Ort mit meinen Gaben, meinem Glauben, meiner Liebe, meinem kritischen Geist einzubringen, kurz dieser Stadt gutes zu bringen. Und dabei gibt es ja auch schon so viel Gutes: Ich bin beeindruckt über die herrliche und sanierte Altstadt. Wie genieße ich es, die Burgstraße zwischen den Geschäften entlang zu schlendern, in der Ferne Schloss Freudenstein, die schönen Kirchgebäude links und rechts, das Theater, die Gebäude der TU Bergakademie, die liebevoll angelegten und gepflegten Parkanlagen um die Mauer herum. Was für schöne Schulen und Kindergärten. Wie beeindruckt es mich, wenn ich Gelegenheit habe, einen Betrieb zu besichtigen. Und ich staune immer wieder, auf welchem innovativen Weltniveau sich diese Stadt wirtschaftlich bewegt. Und ich merke auch: die Leute debattieren oft hitzig über den richtigen politischen Weg… manchmal bis zur bitteren Herausforderung. „Suchet der Stadt Bestes…denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s euch auch wohl“ – schreibt Jeremia. Sucht das Beste, sucht das Wohlergehen – auch wenn es hier nicht immer perfekt zugeht, bleibt doch großherzig, bleibt manchmal gelassener, lasst uns noch viel öfter an einem Strang ziehen – bei allen Gegensätzlichkeiten. Zum Wohl der Stadt, zu unserem eigenen Wohl! Wie haben Sie sich hier in Freiberg eingerichtet? Welcher ist Ihr Ort hier? Ist er ihr Ursprung oder Ihre Wahlheimat? Was lieben Sie an dieser Stadt?

In dieser Stadt bleiben ist wichtig, aber für Jeremia nicht das letzte Ziel. Alles Leben in dieser Welt, an diesem Ort, hier bei uns in Freiberg oder sonst wo in Deutschland, ob in Ost oder West, dient dazu, am Ende zu Gott zurückzukehren. „Ich will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.“ – das richtet Gott über den Propheten aus. Und das verbindet uns als Christinnen und Christen in Freiberg in ganz besonderer Weise. Wir wissen: dieser Ort – in all seiner Schönheit und Widersprüchlichkeit – ist nur vorübergehend. Das letzte Ziel ist bei Gott… bei Jeremia gebunden an den sehr konkreten Ort der Stadt Jerusalem. Und dabei wünscht sich Gott zweierlei:

- Sucht Gott, „denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR.“

- Und dann fast versteckt, zwischen den Zeilen: betet für die Stadt zum HERRN.

Wir müssen als Christinnen und Christen daraus keinen Hehl machen: wir sind keine Mehrheit mehr in Freiberg, unsere Kräfte sind begrenzt, vielleicht muss man sagen irgendwie immer etwas fremd in dieser Stadt in dieser Gesellschaft. Eine Minderheit zwischen nicht-Christen. Und dabei aber alle auf die Erlösung harrend, auf das neue Jerusalem harrend: aber genau das macht uns so besonders. Genau das ist das Salz (um mit Jesu Bild zu sprechen) mit dem wir diese Stadt Freiberg, unser Deutschland und unsere Welt so schmackhaft machen.

Ich stelle mir vor: der Handwerker geht wieder einmal, wie so oft, am Tigris spazieren, längst an alter Mann. Er hat den Großteil seines Lebens in Kusch verbracht. Das ist sein Zuhause. Vor einigen Woche ist der Rückkehrbefehl durch Kyros durchgeführt worden. Seine Kinder und Enkel haben sich nach Juda aufgemacht: für sie ein fremdes Land und neue Heimat. Freude und Trauer – für sie, wie für ihn. Er fühlt sich zu schwach. Die Abendsonne scheint in sein Gesicht. Fremd und doch immer bei Gott.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

alle Predigten


Kommentare

Keine Kommentare

Kommentar hinzufügen

Felder mit Stern (*) müssen ausgefüllt werden.

nach oben