Predigt zum Kirchweihfest, 2. November 2025

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Predigt zum Kirchweihfest, 2. November 2025

02.11.2025

über Lukas 19,1-10 (Lut17); gehalten im Dom St. Marien zu Freiberg von Dr. Gunnar Wiegand, Pfarrer des Freiberger Doms

Der Predigttext Lukas 19,1-10 wurde als Evangelium verlesen.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

wieder mal ein ganz besonderer Festtag im Lauf des Kirchenjahrs an unserem Dom St. Marien zu Freiberg: Kirchweihfest – festlich mitgestaltet durch unseren Posaunenchor aus Großschirma. Danke, dass ihr da seid. Und in diesem Jahr gibt es noch eine Besonderheit drauf… die Praline eines Kirchweihfestes sozusagen. In diesem Jahr können wir zum ersten Mal mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einen Kirchweihtermin historisch nennen – bisher hieß es immer: „dieser Termin ist doch gar nicht bekannt“. Und dabei lag er teilweise direkt vor unserer Nase, er ist eingraviert in das Gewölbe des Seitenschiffs des Doms vorne links… zumindest das Jahr… 1499. Und Fr. Bertram konnte – dank ihrer akribischen kunsthistorischen Recherchen – auch ein Weihedatum als Terminus post quem ermitteln: die Weihe erfolgte zeitnah nach dem 14. November 1499. In den Quellen ist wohl zu lesen, dass sich ein Weihbischof aus Dresden auf einer Kutsche mit Bier auf dem Wagen auf den Weg gemacht hat… ich vermute er wollte dem Domkapitel was Gutes tun und ein kleines Einweihungsgeschenk für ein Kirchweihfest machen (oder war es ein Fingerzeig: „Ihr braucht eine eigene Freiberger Brauerei?“).

Dieser Dombau, man muss ja eigentlich sagen Stiftsbau, war für die Stadt Freiberg eine gigantische Herausforderung. Der Umbau von der romanischen Kirche zur gotischen Hallenbasilika hat viele Jahrzehnte gedauert – vielleicht erinnert sich der ein oder andere an das Symposium im Sommer mit den Vorträgen zur Versetzung der Goldenen Pforte… was da alles baulich, aber auch an theologischen Argumenten dranhing.

Als ich am letzten Donnerstag im Landeskirchenamt zu einer Besprechung über die Sanierung war, ist mir auch dort wieder sehr kompakt durch Hrn. Bretschneider, den Architekten vor Augen geführt worden, dass der Bau des Doms aber eigentlich nie so richtig ein Ende hatte. So ein Gebäude ist ein ständiger Work in Progress… schon kurz nach Fertigstellung wurde der Dom evangelisch-lutherisch und im Sinn der veränderten theologischen Bedarfe angepasst… und dann immer wieder im Lauf der Jahrhunderte…. Und jetzt ist der Dom wieder in die Jahre gekommen, Die Kirchweihe im 15. Jahrhundert war also wie so eine Art Initialzündung „ja es ist fertig… aber jetzt habt ihr laufende Aufgaben für die Jahrhunderte“… Damals eine klare Ansage an die Kommune und das Stift.

Und jetzt sind wir hier und müssen künftig mal wieder sanieren – die Baubrigade haben wir ja leider nicht mehr… also müssen wir selber ran, wir, die Kirchgemeinde… aber auch die Kommune, die Landeskirche, der Freistaat, unser Land, die Wirtschaft, die Privatmenschen. Dieses Gebäude ist ein Auftrag an alle Leute.

Ja, dieser Tag ist besonders, weil wir an die Weihe der Kirche erinnern, jetzt sogar mit Datum… Aber dieser Tag ist auch aus noch einem Grund besonders: heute möchte ich im Namen der Gemeinde einmal Danke sagen. Danke an alle Menschen, die sich mit Taten, Mitteln, Arbeitskraft und Geld schon bisher für die Sanierung des Doms eingebracht haben:

-        Gestern war mal wieder eifriges Adventskranzbasteln für den Adventsmarkt… die Spenden gehen über den Förderverein an die Domsanierung. Danke allen, die sich praktisch mit Hingabe und Liebe hier oder an ganz anderer Stelle einbringen.

-        Wir haben seit einigen Jahren einen Förderverein. Dieser Verein ist ein echter Schatz. Denn über den Verein können noch einmal auf ganz anderer Ebene Gelder eingeworben werden.. über das hinaus, was die Kirchgemeinde mit begrenztem Personal und Manpower überhaupt leisten kann. Aber nicht nur für das Geld sondern auch die ideelle und manchmal ganz handfeste Unterstützung – bei Reinigungsarbeiten oder wenn ich den Hinweis kriege.. dies oder jenes müsste doch mal angegangen werden… wir würden dafür spenden. Eine solche fantastische Spende soll ja heute offiziell übergeben werden. Die meisten haben es schon gesehen: die Spendentruhe am Ausgang B. Was für ein Ding mit dem komplizierten historischen Schloss und was für ein Einsatz, dass sie wieder ertüchtigt, wir damit Spendengelder in Größenordnungen und sichtbar einnehmen zu können… (der große Dank kommt dann noch nachher)

-        Es gibt eine Gruppe von Leuten, die die Stadtgesellschaft (und darüber hinaus) durch ihre Persönlichkeit prägen. Und davon gibt es wiederum einige, die den hohen historischen Wert und das Potential dieses Doms für Freiberg erkennen und sich nach ihren Möglichkeiten einsetzen: auch Ihnen vielen Dank für alle bisherigen Treffen, alles Mitdenken und alle Ideen.   

Im Zentrum dieses heutigen Kirchweihfestes steht nun die Evangelienlesung aus Lukas, die wir vorhin gehört haben. Es ist die Geschichte des Oberzöllners Zachäus. Diese Geschichte ist mir so vertraut, weil sie ganz oft in Kinder- oder Familiengottesdiensten, in der Christenlehre oder dem Religionsunterricht vorkommt. Ganz bildlich vor Augen ist mir da dieser kleingeratene Mann, der dann – wie so ein Kind – auf einen Baum klettert, um Jesus zu sehen. Und Jesus spricht ihn prompt an… Zachäus (wörtl. der Gerechte) wird von Jesus besucht … und zum Nachfolger. Das motiviert die Kleinen. Aber die Erwachsenen? Mein erster Gedanke daher… so ein alter Hut, so eine Kindergeschichte… schon wieder… wie soll ich hier auf Distanz gehen für eine Predigt? Wie kann ich dieses Kinderbild loswerden? … und dann merke ich zum ersten mal… sogar ein klein wenig Bodyshaming baut der Evangelist da mit hinein, um den Mann noch schlechter da stehen zu lassen… Lukas betont, dass dieser Mann klein ist… braucht es dieses Detail?

Mein zweiter Gedanke … was ist denn eigentlich so besonders dran, dass dieser Mann auf einen Maulbeerbaum steigt, um Jesus zu sehen. Wenn ich erfahren würde, dass Jesus oder der Messias daherkäme, dann würde mich das – ob das nun glaube oder nicht – vermutlich auch neugierig machen. Und wenn er dann kommt, die Leute mir die Sicht versperren, na dann steig ich halt auf eine Erhöhung…. Zuletzt ist mir das im August so beim Kulturkirchentag in Chemnitz auch so gegangen… Man verschafft sich dann halt eine gute Sicht.

Mein dritter Gedanke… wie oft schon habe ich mich an diesem Satz von Jesus gerieben: „Die Leute murrten über Jesus und sprachen: Bei einem Sünder [Zachäus] ist er eingekehrt.“ Warum wird dieser Zachäus so negativ? Heutige Zollbeamte tragen ja zu Ordnung und zum Wohlstand unseres Landes bei… warum ist Zachäus aber eigentlich ein Sünder?... Mir fehlt dort irgendwie die gedankliche Reibefläche… ich finde Steuern und Abgaben, ja staatliche Ordnung prinzipiell eine wichtige Sache – bei aller Steuern und Abgabenlast vielleicht auch mit einem kritischen Blick… aber Sünde? … und dann immer umständliche Erklärungen: Zöllner galten als Kollaborateure mit den Römern. Zöllner arbeiteten für die römische Besatzungsmacht und trieben Steuern ein – oft mit überhöhten Forderungen. Sie bereicherten sich oft selbst. Demnach wurden sie als Verräter am eigenen Volk betrachtet, weil sie mit den Unterdrückern zusammenarbeiteten. Und sie handelten gegen das Gesetz Gottes.

Lassen wir die religiösen Vorbehalte einmal außer Acht, fällt es schon leichter, die Problematik bei Zachäus zu erkennen: er war offenbar korrupt und hat die Leute betrogen… und dabei offenbar sehr viel Geld eingenommen. Da kann ich gedanklich schon eher anknüpfen… Menschen, die anderen das Geld aus der Tasche ziehen wollen… möglichst bequem, ohne handfeste Arbeit… wie entsetzen mich immer wieder die Berichte von Telefon- oder Internetbetrugsmaschen… Oder wie ist das bei den Abhängigkeiten in den Wirtschaftssystemen der USA, Russlands oder Chinas? – um nur drei wichtige Großmächte zu nennen. Wie ist das mit unserem eigenen europäischen Lebensstil, der doch im Wesentlichen auf billige Rohstoffe und Arbeitskräfte, billige Nahrungsmittel baut? Wer bereichert sich am meisten, mit welchen Zöllen… oder mit welchen Freihandelsabkommen?

Heute ist Kirchweih am Dom. Und da stellt sich für mich die wichtigste Frage, mein vierter Gedanke: was hat diese Zachäus-Geschichte nun mit Kirchweih zu tun? Kehren wir dazu zur Geschichte zurück… Jesus besucht nun diesen Unsympathen, Zachäus. Im Haus angekommen passiert nun innerlich etwas mit Zachäus. Er verändert sich. Er sagt: „Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.“ Der für mich wichtigste Satz dieses Bibelausschnitts! Zachäus erkennt, dass sein Leben nicht in Ordnung war, er ändert sich innerlich und will dem auch handfeste Taten folgen lassen. Er will nun das tun, was das jüdische Gesetz verlangt – ja, sogar mehr, vierfach. Er geht weit über das Mindestmaß hinaus. Wie wünsche ich mir eine Kirche, die ein solcher Ort der inneren Veränderung sein kann. Ein Ort im übertragenen Sinn, eine Gemeinschaft, in der Fehler verzeihen werden können, in der Sünden vergeben werden können. Und dann der Zuspruch: „Du bist genau deswegen willkommen, genau deswegen bist Du geliebt.“ Gnade nennt das Paulus – wie wir es am Reformationsfest zum Thema in der Dialogpredigt hatten.

Und so wie Zachäus sein Leben neu ausrichtet, können wir immer wieder neu anfangen und fragen: Wo habe ich mich verrannt? Wo braucht es in meinem Leben, in meinen Beziehungen einen Neuanfang? … Und dann geht es gut in diesem Leben weiter … wie würde ich mir wünschen, dass nur eine dieser Großmächte, einer der Mächtigen Konzernchefs sagen würde: „das Geld ist nicht so wichtig, meine Macht ist nicht so wichtig… ich gebe das Vierfache von dem was ich habe an die Armen.“…

Am Ende der Geschichte sagt Jesus: „Heute ist diesem Haus Heil widerfahren.“ Und dann: „Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ Darauf hinzuweisen, ist der Auftrag der Kirche. Kirche ist ein Ort, der auf Jesus Christus verweist. Dafür sind wir hier, dafür steht dieser herrliche Freiberger Dom. Und Jesus – so meine Hoffnung – heiligt diese Kirche.

Und dann kommt mir noch ein Gedanke: Ich finde, das ist ein ganz schöner Spagat. Da ist dieser reiche Mann, ein Sünder. Er merkt, dass er sich verändern muss… und dazu gehört, dass er auch etwas von seinem Reichtum abgibt… Und wir stehen hier in diesem Prachtraum… freilich in die Jahre gekommen, sanierungsbedürftig… aber geldlastig… wir brauchen viel Geld… dass diese Kirche stehen bleiben kann. Sind wir nun reich beschenkt – weil wir diesen Raum haben? Oder sind wir eigentlich ganz arm, weil wir die Verantwortung für den Erhalt tragen – und selbst kaum Mittel dafür haben?

Das bewegt mich sehr… ich sehe zu einer Sanierung jetzt keine Alternative… aussitzen bringt nichts, jammern bringt nichts, abtreten bringt nichts… der Bau ist ja trotzdem da… ja der Auftrag zur Sanierung ist und bleibt… aber es gilt von dieser Demut des Zachäus zu lernen. Dieses Haus hat nur dann den Segen von Jesus Christus, wenn es der Gemeinschaft unserer Kirche dient, einer Gemeinschaft in Wort und Sakrament… und wenn diese Gemeinschaft dabei immer den Schwachen und Armen vierfach im Blick behält. Wie kann das gut gelingen… für mich eine wesentliche Frage!

Wir dürfen dieses Kirchweihfest mit Freude feiern… gerne auch mal mit Bier… aber wir dürfen dabei nicht selbstgerecht werden, überheblich, elitär… er muss auch ein Ort der Armen und Schwachen sein. Viellicht ein Ort des Spagats zwischen Arm und Reich, ein Ort für Sünder und Gerechte, ein Ort für Christen und Nichtchristen, ein Ort für ganz Freiberg. Dann – so hoffe ich – wird diesem Haus Heil widerfahren.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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