Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis, 10. August 2025

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Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis, 10. August 2025

10.08.2025

über Jesaja 2,1-5 (Lut17); gehalten im Freiberger Dom St. Marien von Dr. Gunnar Wiegand, Pfarrer des Freiberger Doms

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Stille…

Liebe Gemeinde,

wie würde ich mich darüber freuen: Ich schalte morgens den Radio an. Und dann die Nachricht: Die Hammas und die israelische Regierung haben sich auf einen Frieden verständigt. Dieser Frieden soll auch alle anderen muslimischen Gruppen, konservative Juden miteinschließen. Die USA, Europa, China, Russland (versöhnt mit der Ukraine) und viele andere Nationen stimmen in diesen Friedensruf mit ein. Es gibt eine gemeinsame tragende Zukunftsvision für die Stadt Jerusalem. Auf dem Zion gelingt es, dass alle Völker und alle Abrahamitischen Religionen friedfertig und gemeinsam zu Gott kommen.   

Die Wirklichkeit: tägliche Frustration über neue Gewalttaten und jetzt auch noch die angeordnete Okkupation des Gaza-Streifens durch die Israelische Regierung. Die israelischen Geiseln leiden weiterhin in Gefangenschaft, die radialen Siedler besetzen weiterhin das Westjordanland… und die Großmächte ziehen im Hintergrund weiterhin ihre Strippen, um Stellvertreterkonflikte in der Welt zu schüren. Ganz zu schweigen von dem unsäglichen Krieg in der Ukraine… Uns geht es gut, aber das Damoklesschwert eines sich ausweitenden Kriegs empfinde ich unheimlich präsent.

Machstreben, Angst vor Krieg und Gewalt, religiöse Konflikte prägten schon vor sehr langer Zeit die Welt. Für den Propheten Jesaja ein untragbarer Zustand. Er verkündete für die Menschen eine umfassende Friedensvision. Jerusalem, der erhöhte Zionsberg in der Mitte, ein Friedenszentrum für die ganze Welt: 

Lesung des Predigttextes Jesaja 2,1-5 (Lut17)

Liebe Gemeinde,

wie muss das für die Menschen im 7. Jahrhundert vor Christus in Juda geklungen haben? Da war zum einen der Konflikt zwischen dem Nordreich Israel und dem Südreich Juda. Es ging dabei auch immer wieder um die Frage der richtigen Religion mit Gott dem Herrn als einzigen Gott. Dann aber waren da – so wie heute – die Konflikte zwischen den Großmächten. V.a. die Assyrer bedrohten von Norden her massiv die Souveränität der Kleinstaaten am Mittelmeer. Wie wurde diese Friedensvision des Jesaja aufgenommen? Haben die Leute auf ihn gehört? Haben sie ihn als idealistischen Spinner abgetan? Waren Sie froh, unter den vielen angstmachenden Botschaften, eine große tröstende Botschaft des Friedens und der Verständigung zu hören?

Wie geht es ihnen, wie geht es uns heute mit dieser Vision?  

Ja, diese Vision kommt mir wie ein wunderbarer Traum vor, wie eine schier irreale Nachricht aus dem Radio. Drei Gedanken bewegen mich bei dieser Nachricht am Meisten:

1. Da sind zum einen die ganz dominanten Bilder im Zentrum: „Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln.“ Es gibt wohl niemanden ihr im Raum, der dieses Wort nicht kennt… wenn nicht aus dem Jesaja-Buch, so doch aus dem Micha-Buch, das Jesaja zitiert. Mir gelingt es nicht, diesen Satz losgelöst von dem bekannten Aufnäher aus den 80er Jahren mit der Abbildung der martialisch-antiquierten Schmiede-Skulptur von Jewgeni Wutschetitsch vorzustellen. Auch wenn die Symbolkraft dieses Spruchs und dem Aufnäher heute eher in das historische Bewusstsein übergegangen ist, auch wenn kein Soldat heute mit Schwertern kämpft oder Pflugscharen vom Dorfschmied bearbeitet werden… so bleibt doch da diese Paradoxie des Denkmals vor den Vereinten Nationen… wie ein Stachel im Fleisch… ein Russischer Künstler verweist über Jesajas Wort die Völker, im Herzen der USA auf den Frieden.  Es ist diese Symbolik an alle Nationen: haltet Frieden, bemüht euch um den Frieden.

Und dabei scheint die Aussicht auf Frieden heute so weit weg, wie seit langem nicht. Wie furchtbar ist es, dass ausgerechnet die USA sich aus der Finanzierung von Projekten bei den Vereinten Nationen oder der Weltgesundheitsorganisation herausnehmen. In den unsozialen Netzwerken dominiert Hass, oft KI-generierte einseitige Plattitüden, Manipulation, Kriegstreiberei… für viele scheinen Brutalität, Autokratie und Unterdrückung von Minderheitenpositionen der bessere Weg zu sein, als demokratische Prozesse, das (zugegeben) mühsame austarieren von Positionen.

Angesichts der Ohnmacht, die ich in diesem Weltgewühle oft empfinde: Jesajas Vision wirkt auf mich wie ein Bollwerk gegenüber diesen Allmachtsphantasien – so wie das Kunstwerk Jewgeni Wutschetitsch vor den Vereinten Nationen.

2. Und dann ist da noch etwas. Ich habe in einem theologischen Kommentar gelesen: Diese Friedens-Vision des Jesaja ist nur vor dem Hintergrund des Rechts zu verstehen. „Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker.“ – schreibt Jesaja. Frieden und Einigung auf Frieden kann nur über die gegenseitige Akzeptanz auf rechtlicher Ebene, dem Völkerrecht passieren… Frieden nach Jesaja kann nie ein Gewaltfrieden sein. Es muss ein auf rechtlichem Konsens und Gesprächen ausgehandelter Frieden bleiben.

Das erinnert mich an den von mir höchst-geschätzten Philosophen Immanuel Kant (aus dem heutigen Kaliningrad stammend). Dieser schreibt in seinem ersten Präliminarartikel zum Ewigen Frieden. „Es soll kein Friedensschluss für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt [des Anstoßes] zu einem künftigen Krieg gemacht worden [ist]. Denn alsdenn wäre er ja ein bloßer Waffenstillstand, Aufschub der Feindseligkeit, nicht Friede […]“ In anderen Wort: Kein Diktatfrieden sondern Verständigungsfrieden. Frieden ist nur dann dauerhaft, wenn er für beide Kriegsparteien langfristig akzeptabel ist. Davon sind wir leider bei den großen Konfliktlinien dieser Welt noch weit entfernt: das betrifft sowohl die Besetzung des Gaza-Streifens als auch eine territoriale Abtretung der östlichen Gebiete in der Ukraine an Russland. Denn Frieden geht nur dann, wenn beide Seiten zufrieden sind.

3. Jesaja spricht hier sehr staatstragend und apodiktisch… da ist die Rede von Nationen und Völkern. Er redet von der Zukunft, die ganz sicher so eintreten wird: „Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker.“ Da frage ich mich: und was hat nun mit mir ganz persönlich hier in meinem Freiberger Lebensumfeld zu tun? Was heißt das für mich?

Die Vision „wir sind alle auf dem Zion vereinigt“ ist mir zugegebener Maßen zu weit weg… bei aller Schönheit und geschichtlichen Bedeutung Jerusalems. Nein, ich verstehe diesen Aufruf auch sehr persönlich: wie viele Konflikte und Kämpfe gibt es doch bisweilen im Alltag eines jeden von uns. Morgen geht es wieder mit der Schule weiter… da ist wieder der Leistungsdruck, der Gruppendruck den Schülerinnen und Schüler, Lehrer oder Eltern aushalten müssen… da sind die Konfliktlinien in den Familien… oft über Kleinigkeiten… wer wäscht ab, wer bringt den Müll raus… da sind diese so ermüdenden Konfliktlinien über die politischen Fragen oder auch die Religion… schon wieder der nervige Regen, der mir den Arbeitsweg erschwert… die Projekte und Deadlines am Arbeitsplatz… die Kollegen und Kolleginnen, die ich mir nicht ausgesucht habe, aber mit denen ich auskommen muss und am Ende sogar auch noch ein überzeugendes Projekt abliefern soll…

Ja, Jesaja wirkt auf mich wie eine Traumnachricht im Radio: alles ist gut… da auf dem Berg Zion, zeigt es sich, wie es wirklich sein wird… friedlich und gut…

Zwischen den Zeilen schimmert da für mich gerade in meine persönliche Situation auch noch eine klare Botschaft hindurch: „damit das am Ende friedlich und gut wird, musst Du Dich schon ganz persönlich aufmachen… lass Deinen Starrsinn hinter Dir… begibt Dich auf den Weg mit allen anderen, zu allen anderen.“ „Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!“ – endet Jesaja.

Wie würde ich mich darüber freuen: eine Szene, die mir das Radio am Morgen gar nicht senden kann. Ich stehe barfuß auf weichem, moosbedecktem Boden. Die Luft ist still – sie riecht nach Regen, nach frischer Erde und nach Lavendel – so wie ich es in meinem Urlaub in den Bergen in Piemont erfahren habe. Um mich herum breitet sich ein Wald aus, Kastanien, Haselnuss, Lärchen, Eichen, Buchen… lichtdurchflutet. Zwischen den kräftigen Ästen tanzen Sonnenstrahlen, als wollten sie mir etwas erzählen. Ein Bach murmelt leise, als würde er ein uraltes Lied singen. Es berührt mein Herz. Ich folge seinem Klang, und jeder Schritt fühlt sich leicht an, als würde die Erde mich tragen.

Dann öffnet sich der Wald zu einer Lichtung. Dort steht ein Tisch aus Stein, bedeckt mit Brot, Honig, Feigen und frisches Wasser. Menschen sitzen dort – nicht viele. Manche habe ich verloren, manche nie getroffen, manche waren mir bitter feind, manche liebe ich … und doch sind sie da. Jesus in Ihrer Mitte. Die Leute lächeln, ohne Worte, und ich weiß: Hier bin ich ganz da und angenommen.

Ein Windhauch streicht über meine Haut, wie eine Umarmung. Kein Lärm, kein Streit, keine Angst. Nur das Gefühl, dass alles seinen Platz hat – auch ich. Ich setze mich dazu, und während ich esse, spüre ich: Frieden.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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