01.12.2025
über Römer 13,7-12 (Lut17); gehalten im Dom St. Marien zu Freiberg von Dr. Gunnar Wiegand, Pfarrer des Freiberger Doms
Der Predigttext wurde als Epistel Römer 13,8-12 verlesen
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
kennen Sie das? Eine dunkle kalte Novembernacht. Sie ruhen und schlafen tief. Irgendwann wachen Sie nachts auf, ein Gedanke lässt Sie hochfahren, eine Sorge … sie ist blitzartig da… Sie wollen wieder einschlafen… aber der Gedanke, die Sorge kreist… und zieht in einen Strudel an Gedanken… schnelles Einschlafen wird praktisch unmöglich… Finsternis der Nacht und Finsternis der quälenden Gedanken…
***
Wie mag es Paulus gegangen sein, als er seinen Brief an die Römer diktiert hat? Was hat ihn innerlich bewegt, dass er dieses Gefühl kannte: finstere Nacht… Sehnsucht nach Helligkeit und Licht. Was für ein hartes Wort: „So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.“ Wovor hatte er Angst? War es eine Vorahnung, dass er bald gefangen genommen werden würde? … diese heftigen Auseinandersetzungen mit Juden und Heiden, sein Bekenntnis zu Christus. Oder spürte er noch immer ganz körperlich die Schläge, die Züchtigungen, die er ertragen musste?
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Ich stelle mir vor: ein Mann will seine Sorgen in einem Gedicht ausdrücken. Es ist eine Zeit voller Diskriminierung und Hass. Das gesellschaftliche Klima mit seiner jüdischstämmigen Frau ist schwierig geworden. „Es geschieht Hannis wegen. Ich glaube nicht an Aktionen. Gott will im Dunkel wohnen, und das Dunkel kann nur durchstoßen werden durchs Gebet.“ – hat Jochen Klepper kurz und knapp sein Weihnachtslied „Die Nacht ist vorgedrungen“ kommentiert. Er liest die Worte des Paulus… sie geben ihm Hoffnung und Trost… ein wunderbares Lied entsteht 1938. Ein Kontrapunkt zur Bedrückung durch den NS-Staat. Ein Licht im Dunkel von Anfeindungen:
Die Nacht ist vorgedrungen,
der Tag ist nicht mehr fern.
So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern.
Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.
Klepper hat den heutigen Ausschnitt aus dem Römerbrief diesem Gedicht vorangestellt.
Welche ist ihre Finsternis? Welche Gedanken reißen Sie nachts aus dem Schlaf? Was zieht Sie in den Strudel, der sie unruhig bis in den Morgen wachen lässt?
***
Wieder bei Paulus, in seiner Kammer in Korinth. Von draußen dringt das Zirpen der Grillen herein. Ein milder Herbstabend. Eine Rückreise nach Jerusalem steht an. Und er weiß: er kann jederzeit gefangen genommen werden. Ja, er braucht Ermutigung in der Gefahr. Er braucht strahlende innere Waffen… aber die trägt er ja auch schon in sich. Christus hat sich ihm auf dem Weg nach Damaskus offenbart. Licht im Dunkel. Und vor allem eins: weg von der Wut, weg von der Rachsucht, weg von der religiösen Besserwisserei, weg von den Gesetzen, hin zur Liebe… ein völlig anderer Umgang miteinander… nicht Gewalt, sondern friedfertig, liebevoll.
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Dem alle Engel dienen,
wird nun ein Kind und Knecht.
Gott selber ist erschienen
zur Sühne für sein Recht.
Wer schuldig ist auf Erden,
verhüll nicht mehr sein Haupt.
Er soll errettet werden,
wenn er dem Kinde glaubt.
… dichtet Klepper. Ich stelle mir vor… ein nächtliches Schreibzimmer in Breslau. Nur eine kleine Tischlampe beleuchtet das Pult mit dem Manuskript. Klepper macht eine kurze Schreibpause. Er zieht sich eine Jacke an und tritt in die kühle Nachtluft. Der Himmel sternklar. Und da der Morgenstern. Ein immerwährender Hoffnungsschimmer. Die schillernde Erinnerung an Christus… ganz sinnlich und klar und schön. Er kehrt zurück und dichtet weiter:
Noch manche Nacht wird fallen
auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen
der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr.
Von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.
***
Meine eigene Zeit… wo leide ich an den Werken der Finsternis? Ich gestehe… bisher habe ich nie unter religiöser Verfolgung gelitten, wie Paulus oder das Ehepaar Klepper… ich kann nur erahnen, was diese Leute empfunden haben… wir leben zum Glück in einer freiheitlichen Demokratie, in einem Rechtsstaat… dafür empfinde ich große Dankbarkeit. Aber genau hier sorge ich mich auch manchmal. Ich sehe unsere liberale Gesellschaft und die Kirche als Teil dieses Systems bedroht. Und das bedrückt mich: da ist so viel Gottferne … Radikale, die diese freiheitliche Demokratie unterwandern wollen oder in Frage stellen. Aber auch die Bedrohung unserer Sicherheit von außen durch diese Drohnenattacken; oder im Internet durch manipulierte oder gut platzierte Reels und Videos… in denen schleichend die Werte des Friedens unterwandert werden… das gute und soziale Miteinander wird durch martialische Bilder und Szenen konterkariert. Wo soll das hinführen? Aber manchmal ist es auch das ganz Zwischenmenschliche… wenn ich wahrnehme, dass Menschen eher sich selbst in den Mittelpunkt rücken oder mehr auf ihre Selbstdarstellung oder ihre eigene Profilierungssucht aus sind, als den Nächsten wirklich im Blick zu haben, das gute Miteinander und damit Christus im Herzen.
Aber was können wir dem entgegensetzen? … Paulus schreibt ja von den Waffen des Lichts. Für ihn war das wohl ein hilfreiches Bild, um sich Mut zu machen für seine Reise durch den Osten des römischen Reichs. Mir ist dieses Bild aber zu martialisch, zu brutal… ich brauche keine Waffe des Lichts, ein Laserschwert oder eine Blasterpistole wie Superhelden in Science-Fiction-Filmen. Selbst der große Chorsatz „Die Nacht ist vergangen“ im Lobgesang von Mendelssohn ist mir schon ein Ticken zu laut, zu heroisch.
Vielmehr hilft mir das, was wir mit dem ersten Advent doch wohl am meisten verbinden… ein zischendes Streichholz, das die erste Kerze am Adventskranz entzündet – so wie am Anfang des Gottesdienstes. Ein kurzer Moment, und das Licht der Kerze vertreibt das Dunkel … erst eine Kerze, noch schwach und wenig durchdringend… aber eine stille Erinnerung: Christus kommt. … und im Lauf des Advents dann immer mehr, immer strahlender. Dieses Ritual nehme ich auch über Advent hinaus mit durch das ganze Kirchenjahr. Ich verbinde das dann mit einer Meditation oder einem Stundengebet, einer Psalmlesung oder einem kurzen Bibelwort. Das gibt mir Kraft … so wie auch meine täglichen kleinen Sportroutinen. Aber manchmal ist es einfach auch nur die leuchtende Kerze bei einer Tasse Tee, der Duft der Räucherkerze in der warmen Stube… oder Stille. Wie liebe ich es mit meinen Kindern oder meiner Frau einfach abends gemeinsam im Wohnzimmer zu sein und im Abendkreis ein gutes Kinderbuch vorzulesen.
Kraft hat mir auch der gestrige Adventsmarkt in unserem Kreuzgang gegeben – bei all dem vielen Vor- und Nachbereiten. Diese besonderen Buden, liebevoll geschmückt, mit persönlichen und hochwertig handwerklich selber hergestellten Produkten … einfach anders … mit Liebe gemacht … ja und dann die Stimmung an der Feuerschale, bei den Bratwürsten, beim Glühweinstand oder beim duftenden Kaffeebuffet … in der Gemeinschaft der Gemeinde, des Vereins, der Gäste mit kleinen Unterhaltungen …
Irgendwie hat das doch etwas von dieser völlig ungleichen Gemeinschaft, die sich im Stall von Bethlehem zusammengefunden hat: Tiere, Engel, Hirten, Sterndeuter, Eltern, ein Baby …
Die Nacht ist schon im Schwinden,
macht euch zum Stalle auf!
Ihr sollt das Heil dort finden,
das aller Zeiten Lauf
von Anfang an verkündet…
… heißt es in Kleppers Gedicht.
Was tut Ihnen gut? Wie schöpfen Sie Kraft im Alltag?
***
Waffen des Lichts, Kraftschöpfen, Kerzen anzünden, Christus im Herzen haben das ist das eine. Dann aber ist da noch das andere. Für Paulus hat diese Kraft auch eine Folge für den Alltag. Und damit sind wir am Anfang des Predigttextes… der Liebe: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (eigenartiger Weise dreht Paulus den Gedanken um und setzt die Folge sogar an den Anfang – so wichtig war er ihm!) Und dann fügt er hinzu: „Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. … Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“
Dieses Liebesgebot (wir kennen es ja auch aus dem Mund von Jesus selbst) ist zunächst ja so selbstredend. Aber ich glaube, dass echte Nächstenliebe ein ganz schöner Kraftakt ist: ein freundliches Wort geht nicht einfach so über die Lippen… das muss ich ganz bewusst wollen, Zuhören oder ehrliches Mitfühlen braucht Geduld… man muss sich auf den anderen einlassen... auch wenn ich ihn oder sie nicht auf den ersten Blick mag … mir dieser Mensch fremd ist … oder wenn ich gerade in Unruhe bin. Gemeinschaft stiften … schwierig … Sie kennen die Differenzen in den Familien oder in unserer Gesellschaft. Und auch Frieden ist nicht mal einfach so hindiktiert, wie es sich Donald Trump und seine Truppe in den USA vorstellen. Für Frieden müssen alle mit im Boot sein… sonst bleibt es am Ende nur eine leere Worthülse, wie wir sie aus der Geschichte „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ von Heinrich Böll kennen. Ein Engel der unablässig ruft „Frieden, Frieden, Frieden“ … und alle sind von der immerwährenden Weihnachtstafel Tante Millas weg.
***
Ein letztes Mal zu Paulus… dieser Mann hatte echt zu tragen… er hatte Christen und Christinnen verfolgt und abgeschlachtet… seine Bekehrung vor Damaskus hat ihm die Augen geöffnet, Christus ins Herz geschrieben… welche Reue muss er empfunden haben? Welche Wunden hatte er aufgerissen, die zeitlebens an ihm zehrten? Wie viel einfacher wäre es gewesen, auf der Seite der Macht, auf der Seite des Gesetzes zu bleiben … unversöhnlich zu bleiben. Ja, liebe Deinen nächsten wie Dich selbst… einfach gesagt und dennoch eine lebenslange Aufgabe: hinterfragen, geben und empfangen…
Wie leben Sie Ihre Nächstenliebe?
Gott will im Dunkel wohnen
und hat es doch erhellt.
Als wollte er belohnen,
so richtet er die Welt.
Der sich den Erdkreis baute,
der läßt den Sünder nicht.
Wer hier dem Sohn vertraute,
kommt dort aus dem Gericht.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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