Predigt zu Karfreitag, 18. April 2025

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Predigt zu Karfreitag, 18. April 2025

18.04.2025

über Johannes 19,16-30 (Lut17); gehalten im Freiberger Dom St. Marien von Dr. Gunnar Wiegand, Pfarrer am Freiberger Dom

Der Predigttext Johannes 19,16-30 (Lut17) wurde als Evangelium verlesen.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

consummatum est et inclinato capite tradidit spiritum… noch immer hallt das erschütternde Wort Jesu in lateinischer Sprache in meinem inneren nach… noch immer klingen die vier Evangelistenstimmen in den Oktavklängen nach… Zeugen von Jesu Tod am Kreuz mit der Musik der Tintinnabuli-Stimmen von Arvo Pärt. Danach das befreiende „Qui passus est pro nobis, miserere nobis…Amen“ im strahlenden D-Dur-Schluss. Noch immer spüre ich die Unsicherheit beim Publikum, bei mir selber: Jesus tot, aber erschütternd und tief bewegend vom Chor und den Musikern vorgetragen. Wunsch nach Applaus und gleichzeitig die heilige Scheu, diesen Tod von Jesus zu beklatschen… Erschütterung in jedem Fall. 

Eine Spannung, die bleibt. Eine Spannung, die aber nicht nur wegen der fantastischen Musik von Arvo Pärt in der Interpretation unseres Domkantors bleibt. Eine Spannung, die die Sterbeszene nach Johannes selber hinterlässt.

- Es ist vollbracht – sagt Jesus. Das klingt wie ein Endpunkt, ein Ziel, das es zu erreichen galt. Der Tod besiegelt nun diesen Weg. Und wenn etwas fertig ist, gelungen ist… vielleicht ein Tisch, den ein Tischler gemacht hat, dann ist das ja nicht nur traurig, sondern hinterlässt auch das gute Gefühl: es ist erledigt.

Ja, Jesus hatte im Lauf seines Lebenswegs nach Johannes immer wieder solche Andeutungen gemacht, z.T. sehr sinnliche Bilder. Schon ganz zu Beginn seines Wirkens in Galiläa, verwandelte er Wasser in Wein bei der Hochzeit zu Kana. Zwischendrin hat er immer wieder durchscheinen lassen: Ich bin mit Gott verbunden… Ich bin… Gott… Dieses Ziel verdichtet sich immer mehr in der Passionsgeschichte… Ich bin… ein König… und dieser Weg bei den Menschen endet nun am Kreuz. Das war immer irgendwie in der Luft. Das hat Jesus immer wieder so angedeutet. Und somit ist dieser Tod auch irgendwie gut so… trotz der Trauer… so ein kleiner Trost, dass da was gelungen ist.

- Es ist vollbracht – sagt Jesus. Am besten kann man dieses Schlussbild der Kreuzigung Jesu wohl begreifen, wenn man Psalm 22 im Ohr hat – wie wir ihn am Anfang gebetet haben. Er ist der jüdischen Sterbepsalm. Der Psalm selbst durchschreitet so einen Lebensweg durch eine Krise hin zu neuer Hoffnung. Für die Menschen zur Zeit Jesu spiegelt er einen Lebensweg wider… und damit wird dem Tod ein Stück weit der Schrecken genommen. Es bleibt die Hoffnung: alle werden wieder im Guten bei Gott zusammenkommen.

Die Kreuzigungsszene bei Johannes parallelisiert an manchen Stellen diesen Sterbepsalm mit dem Geschehen, das Jesus in den letzten Stunden und Minuten seines Lebens widerfährt… bis hin, dass der Psalm sogar wörtlich von Johannes zitiert wird. Diese Parallelen sollen zeigen, wie Jesus, der doch Gott selbst unter uns Menschen ist, teilhat an den Tiefen menschlichen Lebens. Die Trauer, die Leere, die sich im Sterben eines Menschen auftun kann, so wie es Psalm 22 beschreibt, wird von Jesus selbst durchquert. Doch Psalm 22 endet eben nicht mit dem Tod, sein Schluss weist über das Sterben hinaus auf Gottes Zukunft mit den Menschen… ja man könnte sagen: hier blitzt Ostern schon am Kreuz durch.

Ich kenne das in meinem eigenen Leben: es gab Situationen, da habe ich mich ganz weit unten gefühlt. Es war wie eine Sackgasse… ich hatte kein Geld, keine ordentliche Wohnung… meine Arbeit ist mir praktisch unmöglich geworden… ich konnte in den praktischen Dingen niemanden erreichen, der mir in dieser Not aushelfen konnte… In letzter Konsequenz hätte ich völlig untergehen können. Aber dann war da in diesem Moment auch der Gedanke da: ändere deine Perspektive auf das Leben… Du kannst völlig neu beginnen… ja, du hast eigentlich Aussichten, die am Ende besser sind als die Verfahrenheit, dein momentaner Zustand… so etwa wie die bekannte Geschichte von Jona im Fischbauch.

- Es ist vollbracht – sagt Jesus. Und das heißt auch: Jesus wird am Kreuz geopfert. Bei Johannes gibt es ja keine Abendmahlsszene am Abend vor dem Pessachfest… bei Johannes wird Jesus selbst zum einmaligen Opferlamm am Kreuz. Vexilla Regis hat der Chor vorhin gesungen. Der Dichter Venantius Fortunatus erinnert in diesem Hymnus genau an dieses Bild des Johannes. Er drückt es so aus:

Erfüllt ward, was verkündet hat
David in gläubigem Gesang [also im Psalm 22],
als er den Völkern sagte:
Es herrscht vom Holze herab Gott…
Seliger [Baum des Kreuzes], an dessen Ästen
das Lösegeld des Zeitalters hing:
zur Waage des Körpers gemacht,
hat [Jesus] die Beute des Totenreichs weggetragen.
Sei gegrüßt, Altar, sei gegrüßt, Opfer(lamm)
aus des Leidens Ruhm,
in dem das Leben den Tod ertrug
und durch den Tod das Leben wiedergab.

Der eigentliche Altar ist das Kreuz selber, Jesus wird stellvertretend für das Pessachlamm, einmalig am Kreuz, an diesem Altar geopfert. Wir brauchen keine Opfer mehr. Wir brauchen keinen Tod mehr, um uns mit Gott zu versöhnen. Ja eigentlich ein noch ein Schritt weiter: der Tod wird besiegt. Vor dem Tod brauche ich keine Angst zu haben, denn es geht ja weiter… Jesus wusste das… und konnte versöhnt sterben (übrigens ganz anders als beim verzweifelten Rufen der Gottverlassenheit am Kreuz in den anderen Evangelien nach Markus und Matthäus).

Wenn ich an Opfer denke, dann ist da in meinem Inneren immer auch ein wenig Ekel, da sehe ich Blut oder Eingeweide… aber genau das ist ja eben vorbei… denn Jesus ist hier so furchtbar geopfert worden… ich empfinde das wie eine Befreiung vor dem Ekel… und darum habe ich auch so eine Abscheu, wenn das Leiden Jesu so blutig nachgestellt wird wie im Film Die Passion Christi von Mel Gibson… es ist vollbracht… will ich dem Schauspieler, dem Regisseur zurufen… es ist vollbracht und vorbei. Und dort, wo der Tod so brutal daherkommt… in Kriegen oder auch ganz unerwartet und plötzlich bei einem Unfall… auch da kann ich mit Jesus rufen… es ist vollbracht. Trotz des Grauens ist da diese Hoffnung von Jesus am Kreuz!

…consummatum est et inclinato capite tradidit spiritum… noch immer hallt das erschütternde Wort Jesu in lateinischer Sprache in meinem inneren nach… noch immer klingen die vier Evangelistenstimmen in den Oktavklängen nach… Zeugen von Jesu Tod am Kreuz mit der Musik der Tintinnabuli-Stimmen von Arvo Pärt.

Unsicherheit, Spannung zwischen Trauer und Triumpf, zwischen Ekel und Schönheit. Da fällt mir noch ein kleiner Akzent bei Johannes auf: et inclinato capite tradidit spiritum… zu deutsch… und neigte das Haupt und verschied… eine kleine Geste… ein kleines Nicken im Tod. Wie eine Bestätigung: ja, es ist gut so… sagt Jesus stillschweigend

Danach das befreiende „Qui passus est pro nobis, miserere nobis…Amen“ im strahlenden D-Dur-Schluss. Braucht es bei so einem Ausblick überhaupt noch die Bitte: erbarme dich unser? Der Tintinnabuli-D-Dur-Akkord und Jesu Nicken reichen mir eigentlich schon…

Und der Friede Gottes, welche höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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