02.11.2024
von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand
Liebe Leser und Leserinnen!
was haben Sie vor 35 Jahren gemacht? Bei mir muss ganz normaler Alltag eines 11jährigen Kindes gewesen sein… Schule, Sport, Freunde, Familie… Und ich weiß noch – es war draußen am Abend schon dunkel und kalt – ich kam mit meiner Mutter von irgendwo nach Hause. Mein Vater saß im Wohnzimmer. Das Fernsehgerät war eingeschaltet. Stolz verkündete er: „ich habe Recht behalten, als ich mit meinem Bekannten vor der Berliner Mauer stand.. die wird irgendwann Geschichte sein.“ Und dann gab es Sekt (ich glaube ich habe Saft getrunken). Es war dar Abend des 9. November 1989 mit den Bildern aus Berlin vom Brandenburger Tor. So bleibt dieses Datum in meinem Leben mit einer Mischung aus kindlichem Alltag und riesiger Freude im Gedächtnis. Meine Fantasie beflügelt: legendäre Städte wie Leipzig, Erfurt, Weimar, Dresden oder Freiberg stehen!
Ja, was haben Sie vor 35 Jahren gemacht? War da Freude oder eher Skepsis. War da Angst vor dem Neuen und Ungewissen oder Aufbruch. Oder gar Ärger? Waren Sie schon ganz dabei (in der Opposition) oder überkam es Sie, wie mich als Kind?
Heute jedenfalls steht in der Erinnerung an den 9. November 1989 bei mir an erster Stelle die Dankbarkeit und Freude. Da ist meine Familie mit meiner Frau aus Sachsen. Ohne diesen Tag hätten wir uns wohl kaum kennengelernt. Meine beiden Kinder gäbe es wohl auch nicht. Und dann ist da die Dankbarkeit, in einer wunderbaren Kirche als Pfarrer zu arbeiten, hier in diesem wunderschönen Bundesland Sachsen – ohne die Friedliche Revolution wohl auch kaum denkbar. Freilich will ich damit nicht sagen: alles ist seither immer gut gewesen. Es gab und gibt viele Herausforderungen. Aber bei mir überwiegt doch das Gute im Geist. Was bedeutet für Sie der 9. November heute?
Und dann ist da natürlich noch etwas: Für meinen ehemaligen Gemeindepfarrer an der Nikolaikirche, Christian Führer, war die Friedliche Revolution mit den vielen Gebeten im September und Oktober 1989 verbunden, insbesondere der 9. Oktober 1989 mit der großen Demonstration. Für ihn ist das biblische Wort aus Sacharja wichtig geworden: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth.“ (Sach 4,6) Und das Wort des Paulus „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (2. Kor 12,9) Er schreibt dazu die großartigen Worte: „In jenen Tagen der Friedlichen Revolution waren diese Worte aus der Bibel plötzlich von brennender Aktualität. Jedes Mal, wenn ich erkenne, wie das Evangelium wegweisend unter die Menschen kommt, spüre ich eine große Freude und inneren Frieden. Denn wir sind nicht nur von negativen Kettenreaktionen umgeben. Es gibt nicht nur die vier Heben der Politik: Geld, Armee, Wirtschaft, Medien. Wenn der Geist Jesu die Menschen ergreift, dann gibt es gewaltige Veränderungen – ohne verletzende oder zerstörende Gewalt.“ (C. Führer: Und wir sind dabei gewesen…, Berlin 92009, S. 223)
Diesen Geist Jesu der auch heute noch friedliche Veränderung bewirken kann, wünsche ich Ihnen und uns: Freude, Dankbarkeit und Freiheit. Veränderung im Frieden und von jeder und jeden ausgehend.
Amen.
Segen
Gott erfülle Dich mit Freude, Dankbarkeit und Freiheit. Er segne und behüte Dich. Gott der Allmächtige und Barmherzige, der Vater, Sohn und der Heilige Geist. Amen.
Herzlich grüßt Sie
Dr. Gunnar Wiegand, Dompfarrer
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