Predigt zum Vorstellungsgottesdienst von Pfarrer Dr. Gunnar Wiegand (Fest Apostel Petrus und Paulus) am 30. Juni 2023

Predigtarchiv

Predigt zum Vorstellungsgottesdienst von Pfarrer Dr. Gunnar Wiegand (Fest Apostel Petrus und Paulus) am 30. Juni 2023

20.11.2023

zu Matthäus 16, 13 - 19; gehalten von Pfarrer Dr. Gunnar Wiegand

Liebe Gemeinde,

Sie haben sich an diesem Freitag-Abend auf den Weg hier in den Dom nach Freiberg gemacht. Ich bin beeindruckt, wie viele Leute gekommen sind… trotz der vielen Abendtermine, der Vereinsfeiern, Schulfeiern, Grillabende. Und das freut mich wirklich von Herzen. Es ist klar… das ist ein außergewöhnlicher Gottesdienst, ein Bewerbungsgottesdienst… und das auch noch zu einem ungewöhnlichen Zeitpunkt, ein Abendgottesdienst, und dann auch noch ein ungewöhnliches Thema, Apostel Petrus und Paulus…

Bei mir ist natürlich ein wenig Aufregung… wie ist das in diesem für mich neuen Kirchenraum, wie ist das mit der Zusammenarbeit um den Gottesdienst herum, welchen Eindruck werde ich wohl hinterlassen, aber auch ganz viel Freude und Neugierde auf Sie, die Gemeinde und den Kirchgemeindebund... Und wie ist das bei Ihnen?... Ich vermute auch bei Ihnen ist da zunächst die Neugierde, wer kommt da nach so langer Zeit der Vakanz? Wie sieht der aus? Wie tickt der?... Ich vermute aber auch eine gehörige Kraft kritischen Geistes, was bringt dieser Pfarrer da mit? Passt der in unsere Stadt, in unsere Dörfer, in die Kirchgemeinde? Kann der Mann die vielen unterschiedlichen Erwartungen erfüllen, die es in so einer Gemeinde, einem Kirchgemeindebund gibt? Kann er unterschiedliche Auffassungen zusammenbringen? Welche ist seine Position zu bestimmten Fragen?...  

Ja, ich kann mir vorstellen, dass die lange Vakanz-Zeit für manche von Ihnen nicht einfach war… dann aber nehme ich mit großem Respekt auch wahr, dass Sie Ihre Kirche auch über diese Zeit hinweg getragen haben. Sie alle, mit mehr oder weniger Engagement, mit Treue. Und dann frage ich mich: was hat Sie über diese Zeit hinweg getragen? Was war es und ist es bis heute, das Ihnen die Kraft gegeben hat und gibt, so lange die verschiedenen Aufgaben anzugehen? Das alles zu meistern?

Ich denke, jede und jeder hat da so seine eigenen Gründe, was ihm oder ihr an der Kirche wichtig ist: die Wertschätzung für diesen beeindruckenden Kirchenraum, den Freiberger Dom, die Liebe zur Kirchenmusik, manche von Ihnen lieben ihr heimatliches Dorf und in der Mitte ebenfalls eine wunderbare Kirche, für viele dürften die Menschen wichtig sein, denen sie in diesen Räumen begegnen, die schönen Gottesdienste, die Gemeinschaft, die Gemeinschaft in Gemeindekreisen.

Dann aber gibt es den einen Grund, der Sie, ja uns alle hier zusammenbringt: Jesus Christus selbst. Jesus Christus als die Mitte unseres Glaubens, Jesus Christus als die Mitte unserer Kirche… Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn – sagte es Petrus voller Überzeugung.

Dieses Christus-Bekenntnis finde ich ganz großartig, weil es so in der Mitte des Evangeliums steht, so klar und unmissverständlich ausgesprochen ist. Gleichzeitig aber hinterlässt es auch eine gewisse Ratlosigkeit. Für die Jünger war Jesus ganz real, ein greifbares Gegenüber, ein Vorbild. Für uns, für Ihre Situation hier in Freiberg ist Jesus Christus Bekenntnis und in der Übertragung real, z. B. in Wort und Sakrament, aber doch nicht mehr greifbar wie für die Jünger. Wir müssen an Jesus Christus glauben. Wir müssen uns Christus immer wieder vergegenwärtigen. Es ist immer wieder ganz wichtig, auf Christus zu verweisen. Christus ist die Mitte unseres Glaubens. Doch was bedeutet das? In welcher Weise ist Jesus Christus bei uns gegenwärtig, wenn doch unsere Kirche manchmal so unvollkommen erscheint. Sie alle wissen aus der Vakanzerfahrung, wie mühsam es ist, diese Gemeinschaft zusammenzuhalten, die verschiedenen Meinungen und Ansichten auszuhalten: da es gibt lutherische Traditionschristen, es gibt eher liberale, dann ist da die Landeskirche, die manchmal zum Verzweifeln lange braucht, um so eine Pfarrstelle am Dom wiederzubesetzen…. Obwohl wir doch alle an Christus glauben. Offenbar hat dieses Unbehagen auch schon Matthäus empfunden.

Und daher fügt dieser Evangelist noch etwas dem Christus-Bekenntnis hinzu:

Jesus antwortet Petrus auf das Bekenntnis: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. 18 Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. 19 Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.

Ich stelle mir vor wie Matthäus mit seinem Text gerungen hat, große Mühe, große Liebe für die Tradition zur Tora, aber auch das Wissen um die Besonderheit des Jesus Christus, aber auch Freude die Geschichte des Menschensohns in Worte zu fassen. Ich stelle mir vor, wie er versucht hat, den Leuten von Jesus zu erzählen. Für ihn – wie auch für uns heute – war klar: Jesus Christus ist die Mitte, so wie es Petrus bekannt hat. Dann aber hat er sehr genau wahrgenommen: Es gab auch in den damaligen Gemeinden unterschiedliche Auffassungen. Da gab es die traditionell verwurzelten Juden, da gab es aber auch ganz viele Heiden, die sich zu Christus bekehrten – vielleicht vom Apostel Paulus angeregt. Auch die Stellung der verschiedenen Apostel untereinander war unklar, da gab es Leute, die wollten z. B. Apostel anstelle von Jesus Christus verehren. Zuletzt aber auch die Juden, die selber das Bekenntnis zu Christus angenommen hatten. Ganz unterschiedliche Auffassungen, so wie auch wir heute hier in Freiberg bisweilen unterschiedlicher Auffassung über den Glauben sind – obwohl wir uns doch über Jesus Christus einig sind.

Wie konnte also unter diesen vielen Stimmen, Jesus als Christus am besten den Menschen nahegebracht werden? Matthäus erweitert die Unterhaltung Jesus mit Petrus und fügt gewissermaßen eine Art zweites Bekenntnis dazu. Jesus Christus stärkt die Stellung seines erstberufenen Jüngers Petrus: Du bist Petrus und über diesen Fels will ich meine Gemeinde bauen. Bemerkenswert ist dabei:

1.     Hier ist die einzige Bibelstelle, an der das Wort Ekklesia (also Kirche oder Gemeinde) vor der Auferstehung Jesu auftaucht. Und dann auch noch aus Jesu Mund selber. D. h. die Gemeinde war Matthäus so wichtig, dass sie auch schon Jesus Petrus in der Erzählung nahelegte.

2.     Ich verstehe das als ein klares Statement für den ehemaligen Weggefährten Jesu. Das erscheint mir als ein klares Statement für den einstigen Leiter der Jerusalemer Urgemeinde. Ich verstehe das so: Matthäus betont gegenüber seinen Lesern: orientiert euch – neben dem ganz zentralen Bekenntnis zu Jesus Christus – am Wirken und Lehre des Petrus selbst und seiner Arbeit als Vorsteher der Gemeinde in Jerusalem.

So, und was machen wir jetzt damit hier ganz konkret in Freiberg? Was könnte das für jeden einzelnen bedeuten?

Ein zentraler Gedanke dazu: Petrus wird ja selbst zu einem Bild, ja einem Vorbild, aus dem man verschiedenes Ableiten kann:

1.     Seht: ein einfacher Fischer vom See Genezareth wurde von Jesus berufen. Jesu Ruf, aber auch das Bekenntnis zu Christus ist nicht eine abstrakte Lehre von irgendwelchen Schriftgelehrten, Pfarrern oder Theologen: Jesus Christus kann jeder bekennen.

2.     Seid Christus so treu, wie dieser erstberufene Jünger Simon Petrus. Petrus ist mit Jesus durch Höhen und Tiefen gegangen, ja bis in die Auseinandersetzungen beim Gerichtsprozess. Haltet also Jesus Christus die Treue.

3.     Aber Petrus hatte auch Schwächen: er wollte Jesus zum Prozess vor seiner Kreuzigung die Treue halten, hat ihn aber dreimal verleumdet. Anders gesagt: Glaube an Jesus Christus ist auch von Anfechtungen geprägt. Offenbar gehören Anfechtungen mit zum Glaubensleben dazu.

4.     Petrus steht für mich als einer, der die Jesus-Tradition in Jerusalem fortgesetzt hat. Knüpft auch an den Traditionen an, dem Juden-Christlichen, achtet auf die Tora und vor allem, seht wie Jesus sich als Christus aus der Tora bewährt. Für uns hier: prüft genau, welches Bekenntnis für euch Bedeutung hat. Welcher ist der beste Weg für die Gemeinde, Jesus Christus zu bekennen. Auf welche Traditionen wollt ihr euch stützen? Was ist euch als Gemeinde, als Ekklesia Jesu Christi von Bedeutung?

5.     Und dann scheint Matthäus auch noch ein wenig Humor gehabt zu haben (so wie ich es jedenfalls empfinde), denn Petrus und Fels ist im Griechischen ein Wortspiel – Petrus ist der Name und Petra heißt Fels. In anderen Worten: lacht auch mal, habt Humor… auch in Fragen des Glaubens.

6.     Und zuletzt: Der Tag der Apostel Petrus und Paulus gedenkt ja auch noch des anderen Apostels. Ach Paulus hatte ja bekanntlich eine ganz wichtige Rolle bei der Verbreitung des Evangeliums inne. Seine Gemeinden waren ja eher missionarische Gemeinden, außerhalb der von Jesus besuchten Kernländer Judäa, Galiläa, Samarien. Für die Kirche braucht es Mission, den Gemeindeaufbau – ich will es das Vorbild Paulus nennen. Aber es braucht auch die Beständigkeit, die Pflege der Traditionen – dies will ich das Vorbild des Petrus nennen.

Ich erinnere mich an die Zeit, als ich in Rom meine Doktorarbeit geschrieben habe. Ich habe über Kirchenmusik an der Peterskirche zur Zeit von Johann Sebastian Bach gearbeitet. Ich erinnere mich, wie ich damals täglich zum Arbeiten in die Sakristei – einem großen Nebengebäude der Kirche zu Recherchezwecken ging. Wenn ich eine Pause einlegte, dann musste ich zum Kaffeetrinken immer das gewaltige Kirchenschiff durchqueren. Es war schon ein einzigartiges Erlebnis, diese Kirche auch einmal ohne Touristen ganz in Stille zu durchschreiten. Und als ich da so den Raum ging, strahlte mich in Goldmosaik der Satz des Jesus an Petrus an: Tu es Petrus super hanc petram aedificabo ecclesiam meam. Er ist in meterhohen Buchstaben über den Kapitellen des Mittelschiffs angebracht. Zum einen ist das ein Verweis auf das legendarische Grab des Petrus, das sich nach katholischer Überzeugung in den Katakomben unter der Basilika befinden soll. Dann aber ist es auch ein klarer Fingerzeig auf das Papstamt, das sich auf eine vermeintliche episkopal-apostolische Sukzession über Petrus hin zu Jesus beruft.

Nach meiner Auffassung ging es Matthäus aber gar nicht darum. Matthäus wollte keinen abstrakten Nachfolge-Gedanken in die Welt setzen. Matthäus wollte seiner Gemeinde Jesus als Christus nahebringen. Petrus war für ihn offenbar ein persönliches Vorbild für die Gemeinde und für die Leitung der Gemeinde. Und genau hierin wird mir dieser sympathisch.

1.     Ich mag Beständigkeit in den Dingen, fruchtbringende Beständigkeit in der Gemeindearbeit – auch wenn ich weiß, dass es das Missionarische genauso braucht.

2.     An Jesus Christus und dem Bekenntnis dranzubleiben, aber dabei ständig die Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift und dem Bekenntnis zu führen, das finde ich ganz großartig

3.     Ich finde es unheimlich erleichternd, dass Jesus gerade Petrus den Zusammenhalt und die Prägung der frühen Gemeinde anträgt. Denn Petrus war nicht perfekt, er hat Jesus dreimal verleumdet – und Jesus wusste das ganz genau.

Du bist Petrus und über diesen Felsen werde ich meine Gemeinde bauen. Oder anders gesagt: Du bist Petrus… meine Gemeinde – Du, Du und Du bist Petrus… meine Gemeinde – auch hier in Freiberg unter Deiner Verantwortung gegenüber dem Bekenntnis zu Jesus Christus. Amen.

alle Predigten


Kommentare

Keine Kommentare

Kommentar hinzufügen

Felder mit Stern (*) müssen ausgefüllt werden.

nach oben