Predigt zum 6. Sonntag nach Trinitatis, 7. Juli 2024

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Predigt zum 6. Sonntag nach Trinitatis, 7. Juli 2024

07.07.2024

über Apostelgeschichte 8,26-39; gehalten im Freiberger Dom von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand

Apostelgeschichte 8, 26-39 wurde an Stelle der Epistel verlesen.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

Ein Weg durch karges Gelände, die Sonne hinter den Wolken. Die Hitze erträglich. Es geht langsam bergab. Ein Mann unterwegs. Er fühlt sich inspiriert. Die Jesus-Gemeinschaft in Jerusalem hatte ihn zum Helfer ernannt. Er lebte für diese Apostel um Jesus. Seine praktische Erfahrung zeigte ihm:

- Die Tora und Propheten werden an bestimmten Stellen auf einmal klar und verständlich.

- Jesus ist der dort verkündigte Christus

- Das hat Folgen für das Leben: Nächstenliebe üben.

Alles recht ungewöhnlich und neuartig aus Sicht der traditionellen jüdischen Religion.

So ging er seines Wegs. Sollte er dort Leute für die Gemeinde in Jerusalem gewinnen? Sollte er dort Menschen in Not helfen? Sollte er Jesu Geschichte weitertragen gen Süden? – es bleibt offen.

Ein Karren überholt ihn gemächlich. Da sitzt ein fremder, aber elegant gekleideter Mann, aus Äthiopien (es entspricht wohl Gegenden des heutigen Sudans), ein vornehmer Hofbeamter. Und dieser Mann liest gerade einen Ausschnitt aus den Propheten. Was hatte der Mann da in Jerusalem zu suchen gehabt?... Er wollte anbeten – heißt es knapp bei Lukas. War er schon jüdischen Glaubens? Oder wollte er diese Religion vor Ort erst kennen lernen? Hatte er gar einen Auftrag, die jüdische Religion des einen Gottes zu ergründen? Gab es Pläne, sie in Äthiopien einzuführen? Wer hat ihn zur Lektüre des Jesaja ermuntert? Die Worte sind ihm offenbar fremd und unverständlich „Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben…“ – steht da bei Jesaja. Er wirkt hilflos. Eine eigenartige Sprache. Was soll er nun nach Äthiopien von dieser jüdischen Religion mitnehmen?... Da ist auf einmal dieser fremde Wanderer, der sich in seine Lektüre einmischt. Ja er gesteht sich ein: „Wie kann ich das verstehen, wenn mich niemand anleitet? Von wem redet der Prophet, von sich selber oder von jemand anderem?“

Für Philippus ist diese Textstelle völlig klar: Das Opfer-Schaf steht für Jesus. Auch dieser wurde hingerichtet. Für Philippus ist Jesaja hochaktuell. Seine ganze Kraft, die Arbeitskraft in der Gemeinde in Jerusalem zieht er aus dieser Jesus-Berufung. Die Gemeinschaft erinnert sich regelmäßig im Sakrament an das Opfer Jesu am Kreuz. 

Wie würde eine solche Begegnung heute ablaufen? Gäbe es heute so etwas überhaupt? Wir reisen nicht mehr zu Fuß. Beim Wandern sind nach meiner Erfahrung Gespräche mit Fremden eher oberflächlich und knapp… schon gar nicht über Religion. Am Ehesten vielleicht auf einer Zugfahrt.

Aber wer liest da die Bibel? Wer würde sich beim Bibellesen eingestehen „ich verstehe es nicht…, ich brauche Hilfe“? Wer würde dann einen fremden Mitreisenden diese Not eingestehen? Kein Wunder: nur eine kleine Minderheit praktiziert in Deutschland offen ihre Religion, nur eine Minderheit glaubt überhaupt an Gott.

Ich stelle mir diese Zugfahrt in einem ICE vor. Mit welchem inneren Geist reisen die meisten Menschen heute durch das Land? Was treibt die Menschen an? Ein paar Eindrücke:

- Zur Zeit ist die Fußball EM (Deutschland leider jetzt draußen). Da sind die Berichte von überforderten Nahverkehrsmitteln und Zügen. Aber all das nehmen viele Menschen auf sich. Sie wollen Spaß haben. Menschen begegnen. Feiern. Stolz sein, auf das eigene Land.

- Es sind Ferien, Urlaubszeit, Reisen, ans Meer in die Berge in fremde Länder. Zeit mit der Familie verbringen. Liebe Menschen besuchen, Freunde, Großeltern, Verwandte.

- Menschen chatten durch die Gegend. Arbeitsam. Vom Ehrgeiz getrieben. Das beste für eine Firma herausholen, Geld verdienen, im Rampenlicht stehen, den Status einer Dienstreise genießen. Oder ist es eher nervig, lästig?

Welche Gespräche würden sie mit einem fremden Finanzbeamten aus Afrika führen – einem Reisenden, der unsere deutschen Kirchen und Dome kennenlernen will?

Ein Fremder, ein Finanzbeamter aus Afrika, ist auf Reisen in Deutschland. Er will sich unsere wunderbaren Kirchen, Dome anschauen. Was würde er von unserer Religion im Land erfahren? Auf wen würde er treffen? Was würden ihm Menschen erzählen? Würde er etwas über Gott erfahren? Würde er die Paradoxie von Gottes Macht und Erniedrigung – wie sie Jesaja beschreibt – verständlich erläutert bekommen? Welche Schlussfolgerungen würde er für die Religion in unserem Land ziehen? Was würde er nach Afrika mitnehmen? Hätte es Folgen für sein Leben? Welche? Oder wäre es gar umgekehrt: in Afrika gibt es heute rund ½ Milliarde Christinnen und Christen. Wäre er enttäuscht über unsere Religionslosigkeit? Würde er ins Grübeln kommen, wie die christliche Religion wieder nach Europa zurückkommen könnte?

Für den unbekannten Kämmerer hat die Begegnung mit Philippus Folgen: er lässt sich nicht nur auf den jüdischen Glauben ein. Er lässt sich nicht nur die ganze heilige Schrift erläutern. Er lässt sich von der Jesus-Begeisterung des Philippus anstecken. Die Stimmung gut: „Siehe, da ist Wasser; was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“ – spricht er – „Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn.“ Fröhlich geht er seines Weges. Philippus hat ihn überzeugt: „An dieser Auslegung ist was dran“ – denkt der Kämmerer. Das trägt er nun in seinem Leben weiter – mit nach Afrika. Was auch immer daraus werden sollte.

Und Philippus? Ich stelle mir vor: innerlich ganz begeistert auf einen Interessierten gestoßen zu sein. Es funktioniert mit der Auslegung. Gott ist der eine Herr der Welt. Und Jesus ist der Christus . Dieser Fremde Mann lässt sich überzeugen. Er darf ihn taufen. Große Genugtuung. Anstatt ihm eine gute Reise zu wünschen, anstatt großer Abschiedsfloskeln, verschwindet Philippus. Keine Worte. Nur die Taufe – aufgehoben in der Verbindung durch den Heiligen Geist. Etwas seltsam und abrupt… Und man muss es doch auch sagen: auf Seiten des Philippus wie ein hermeneutischer Zirkel. Am Ende kommt das in der Auslegung raus was er von Anfang an hineinträgt: Jesus – das Opferlamm – Jesus das Opferlamm – das Evangelium – die ganze heilige Schrift – Jesus Christus in der ganzen Heiligen Schrift offenbart… aber für den außenstehenden Fremden überzeugend. So überzeugend, dass er die Taufe empfangen will.

Zurück im ICE: So eine Reise in einem Zug ist wohl wie so ein kleiner Spiegel unserer Welt… da ist Religiöses neben Religionslosem, da ist Trauer, Wut, Ehrgeiz genauso wie Freude und Fröhlichkeit. Es gibt dort gute Begegnungen und einsilbige Begegnungen. Es gibt herzliche Blickkontakte wie hasserfülltes Anraunzen. Es gibt Menschen die ganz offen sind und andere, die sich nur mit ihrem Smartphone beschäftigen.

Ich glaube, das war zu Zeit des Philippus schon ähnlich vielseitig – es wird nur nicht in der Apostelgeschichte so erwähnt. Insofern wirkt diese Geschichte schon fast absurd geglückt – völlig idealisiert. Doch was bringt sie dann? Für mich sind es vier Erkenntnisse:

- Da ist diese unglaubliche Reisemotivation des Kämmerers aus Äthiopien. Er macht sich auf die Reise, weil er eine Religion erkunden will. Dadurch hinterfragt er seine eigene religiöse Prägung. Er ist neugierig auf Gott. Er ist neugierig auf den Gott der Juden. Und er lässt sich inspirieren. Er will sich innerlich auf Gott einlassen. Er will den eigenen Standpunkt zu Gunsten von Gott hintanstellen… Diese Leute kann ich mir im Zugabteil freilich nicht backen. Aber ich glaube, für gute Begegnungen, gute Gespräche, eine gute Wegbegleitung sind doch viele Menschen offen.

- Und dann natürlich auch die andere Seite: Philippus. Ein Mann, der auf diesen Unbekannten zugeht und den Kontakt sucht, Kontaktflächen für seine Religion, für Jesus schafft. Das kann ein gutes Gespräch in einem Zugabteil sein. Mut über den eigenen Glauben zu sprechen. Mut den eigenen Glauben mit der Wirklichkeit in Korrespondenz zu bringen. Und ich glaube, wichtig ist: jeder muss seinen Weg dabei gehen, authentisch von seinem Glauben sprechen. Es gibt keine einheitlichen Rezepte dafür.

- Der Kämmerer nimmt die jüdischen Texte, das Zeugnis von Gott und gesteht sich offen ein: „ich verstehe es nicht“. Und er lässt sich belehren, inspirieren, tritt in den Austausch mit dem dahergelaufenen Philippus. Als hoher Finanzbeamter hätte er auch einfach seines Weges ziehen können. Er lässt sich auf die Begegnung ein. Lernt dabei etwas völlig Neues – versteht auf einmal die fremden und dunklen Wort des Jesajas.

Auslegung der Bibel ist doch wichtig. Ich erinnere mich an eine Begebenheit in meiner frühen Studienzeit. Ich ging durch die Fußgängerzone von Ingolstadt. Ich kam an einem Stand einer christlichen Gemeinschaft vorbei. Ich war neugierig auf die Flyer. Ich kam mit dem Mann da ins Gespräch: ich habe ihm erzählt, dass ich Theologie studiere. Und er sagte: „vergessen sie doch dieses ganze Studieren. Es ist doch so einfach mit Jesus Christus. Einfach nur an Jesus glauben…“ „Klar“, denke ich. „Aber ist es wirklich ganz so einfach?“ Dieser Ausschnitt aus der Apostelgeschichte zeigt es doch: wir brauchen den Austausch über das Evangelium. Ja, wir brauchen die Auslegung des Evangeliums. Und das meine ich nicht eindimensional: da oben auf der Kanzel der Pfarrer. Da unten die Gemeinde. Auch ich brauche Quellen der Inspiration durch gute theologische Lektüre und Textarbeit, Inspiration durch die Gemeinde, meine Kreise: die Jugendlichen, den Männerstammtisch, den Bibelkreis, die Familie, die Freunde, geistliche Musik…

- Zuletzt ist da das Wichtigste: Gott in der Mitte. Gott in seinem Widerspruch von Macht und Ohnmacht. Gott in seinen Bildern aus der Tora, den Propheten, dem Evangelium. Gott in Jesus Christus. Der Versuch in dieses Geheimnis aus Schrift, Geschichte und Bildern durchzudringen… Das hat schließlich den Kämmerer aus Äthiopien überzeugt und fröhlich gemacht.

Ja, am Ende bleibt die Fröhlichkeit. Die Begegnung flüchtig. Die andere Person verschwunden. Aber die Gewissheit: hier ist was passiert, hier ist vielleicht der Grundstein gelegt für eine neue Begegnung, ein neuer hermeneutischer Zirkel, der wieder von vorn beginnen kann – in einem anderen ICE, in einem anderen Flugzeug oder ganz einfach hier bei uns in Freiberg auf der Straße, beim nächsten Public Viewing, bei der nächsten Demo… da, wo die Menschen sich begegnen.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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