20.04.2025
über Johannes 20,11-18 (Lut17); gehalten im Freiberger Dom St. Marien von Dr. Gunnar Wiegand, Pfarrer am Freiberger Dom
Der Predigttext Johannes 20,11-18 (Lut17) wurde szenisch als Evangelium verlesen.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
Die Szene wirkt wie entrückt… ein einsamer Garten früh am Morgen… wieder einmal eine Morgenszene in Jerusalem… aber diesmal außerhalb der Stadt… Pinien, Zypressen, Palmen und Oliven säumen die Wiese… mir kommt es als stehen diese Bäume für den Tod, aber auch Hoffnung, Frieden, ja das Paradies… ich spüre den Tau an den Füßen und in der Luft, die Vögel singen in der rosenfingrigen Morgenröte… langsam dem Orient entsteigend… eine junge Frau, Maria von Magdala macht sich ans Grab von Jesus auf… vielleicht eine schlaflose Nacht der Trauer hinter sich… ein jugendlich-schönes Gesicht von den Augenrändern der Übernächtigkeit durchzogen… ihr orangefarbenes Kleid weht im Windhauch der zügigen Schritte … Irritation, denn das Grab ist offen… auch andere Jünger eilen herbei… große Verwirrung bei allen, Panik… die Jünger kehren zurück… Maria bleibt einsam am Grab zurück… und muss weinen… erst der Tod Jesu, jetzt auch noch der Leichnam weg… sie kann es nicht fassen… das kann doch nicht sein… noch einmal der Blick hinein… da zwei Engelsgestalten?… Frau was weinst Du? … hinter ihr auf einmal eine Person. Wie ein Echo fragt auch der Mann, allem Anschein nach der Gärtner: Frau, was weinst Du?... ein Vorwurf: Wo hast Du Jesus hingetragen… Maria… Rabbuni, Meister… da die Erkenntnis: er ist es, Jesus. Was für eine Offenbarung! wie muss Maria das Herz schlagen? Sogleich der Reflex. Maria will Jesus berühren und Jesus weist es zurück: Fass mich nicht an… das Herz klopft Maria, dann wie ein Schlag… Enttäuschung und Erkenntnis zugleich… sie zieht los und verkündet: „Ich habe den Herrn gesehen“.
Was für eine Szene… voller Sinnlichkeit der paradiesischen Natur… wie das Paradies… das erste, was im Johannesevangelium auf den Tod Jesu und die Grablegung folgt… und zugleich eine völlige Verkehrung der Verhältnisse: eigentlich will Maria den toten Jesus besuchen, am Grab trauern… sie hat überlebt, Jesus starb am Kreuz… jetzt ist sie selbst ganz unten, weint… und nach diesen eigenartigen Echorufen aus dem Grab und dem Friedhof… tröstet sie dieser Mann… begegnet sie Jesus im Garten. Nicht Maria muss für Jesus da sein, Jesus ist für Maria da… aber ganz anders als man es bei einer körperlichen, sinnlichen Liebe vielleicht erwarten würde… Rühre mich nicht an – sagt Jesus… mä mou haptou, noli me tangere… Rühre mich nicht an. Ist das nicht eine enttäuschende Begegnung? Ein Wechselbad der Gefühle: tiefe Trauer, dann irre Hoffnung und Freude, und dann diese abrupte Zurückweisung… fast wie ein „fass mich nicht an“, fast wie der Bruch einer Beziehung… aber vorher so inniglich in der Wiederbegegnung. Was soll das?
Ich muss bei dieser Szene immer an ein ganz rührendes Fresco einer Zelle in der Kirche San Marco in Florenz von Fra Angelico denken. Eine junge Frau und ein junger Mann in Mitten eines paradiesischen Gartens. Die blondhaarige Maria kniet links von Jesus. Er im weißen Gewand. Sie streckt ihre feingliedrige Hand zu Jesus. Und Jesus weist Sie einige Zentimeter davor abwehrend zurück… oder will er ihre Hand eigentlich fassen? … es bleibt die Mitte des Bildes offen, voller Spannung, voller Bewegung… mä mou haptou, noli me tangere… Rühre mich nicht an… so der Titel des Frescos.
- Rühre mich nicht an… ich denke: wieso sollte Jesus sich nicht berühren lassen? … wo er doch offenbar leiblich auferstanden ist?... so wie in den anderen Evangelien. Das muss vielleicht so verstanden werden: Rühre mich nicht an… halt mich nicht fest, halt mich nicht auf, denn ich muss zu Gott… ich habe noch ein Stück weit Wegs in den Himmel vor mir… - so interpretieren es Theologen heute. Und ich frage mich: was ist denn das für ein Jesus? Warum sollte er Maria zu so einem späten Zeitpunkt, in so einer Begegnungsszene über seinen Weg zu Gott belehren? Was ändert ein kurzes Handgeben daran? … Das wirkt ja so, als ob Jesus Angst hat, dieser Maria Magdalena körperlich nicht gewachsen zu sein? Oder befürchtet er, ihr hier auf der Erde (nach seiner Auferstehung) emotional so zu verfallen, dass er nicht mehr von ihr wegkommt? Was sollte das für ein gefangener Christus sein im Hier und Jetzt …. Jesus ist doch nicht Tannhäuser, der von Venus im Berg gefangen ist… auch wenn vielleicht von Johannes gewollt, ich finde: irgendwie eine gedankliche Sackgasse…
- Rühre mich nicht an… man möchte denken: wieso sollte Jesus sich nicht berühren lassen? Eine andere Möglichkeit… Martin Luther eröffnet sie – in Anlehnung an den Johannes-Kommentar von Augustinus – in seiner Bibelmarginalie: „[Weil Maria zu diesem Zeitpunkt noch nicht] glaubte, dass er Gott war, wollte er sich nicht anrühren lassen, denn Anrühren bedeutet Glauben. Denn St. Johannes achtet besonders auf die geistlichen Deutungen […].“ Maria erkennt zwar Jesus als Meister (Rabbuni), allerdings eben noch nicht als Gott. Diese Deutung leuchtet mir schon besser ein… ich fühle mich erinnert an das Ideal der reinen Liebe – ohne sinnlichen Beigeschmack. Da ist das Idealbild der Geliebten oder des Geliebten vor mir… die Sehnsucht nach der Vollkommenheit… die Sehnsucht, den anderen, die andere auf einen Sockel zu heben, in Gedichten oder Liedern zu verherrlichen, zu vergöttlichen… was gibt es nicht alles für fantastische Literatur, die genau das macht… Dantes Göttliche Komödie als eine Suche des Dichters nach seiner Geliebten Beatrice, für die er sogar Hölle und Fegfeuer durchschreitet, um sie dann ganz in der Nähe bei Gott im Paradies zu finden. Ohne sinnliche Erfahrung aber das Bild im Gedanken und im Herzen…
Ich kenne das so gut: da gab es manchen Moment in meinem Leben, wo ich schmachtend in meinem Zimmer saß… in Windsbach im Internat… ich wartete sehsüchtig auf einen Brief meiner Freundin aus meiner Heimatstadt in Pfaffenhofen… oder einige Jahre später in Rom… ich konnte es kaum erwarten, am Wochenende mit dem Zug nach Neapel zu meiner Freundin zu fahren… dann der aufgeregte Gang zum Bahnhof Termini… schließlich die Ankunft in Napoli Centrale … die feucht-warme Luft des Golfs von Neapel, die mich in Empfang nahm … aber ich weiß auch um die Tücke dieser Liebe… sie entspricht vielleicht am Ende nicht derjenigen, der anderen Person … sie zerbricht, wenn es um das konkret-sinnliche geht… Ich frage mich: geht es Jesus hier wirklich darum? Berührung erst mit der vollen Glaubenserfahrung Gott und Mensch… Was würde das für Maria Magdalena ändern? … auch irgendwie eine Sackgasse.
- Rühre mich nicht an… man möchte denken: wieso sollte Jesus sich nicht berühren lassen? Eine dritte Möglichkeit… Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu ihr gesagt habe. Diese Maria bringt den Jüngern eine Geschichte mit, ein Bild mit, das Fra Angelico so anrührend in ein Kloster in Florenz malen konnte. Hier wird nicht einfach ausgerufen: Der Herr ist auferstanden… wie so eine Keule. Nein, Maria durchlebt in einem Gefühlsbad eine Morgenszene in einem paradiesischen Garten… die Engel… oder Jesus… oder vielleicht doch der Gärtner sind da… sie wird mit ihrem Namen, Maria angesprochen… diese Begegnung bleibt offen… sie changiert zwischen handfester Sinnlichkeit und vorsichtiger Distanz, ja Zurückweisung.
Das ist doch der Weg mit Gott und Jesus, wie ich ihn in meinem Leben auch gehe. Gott ist sinnlich manchmal ganz gegenwärtig… wie im Abendmahl… Gott gibt mir Kraft, er gibt mir einen Schutzraum, wie ein zerbrechliches Ei in einer warmen Hand…. – wie der Wortwechsel: was weinst Du… Maria… Rabbuni. Und manchmal ist Gott aber auch sehr weit weg. Ich bin verzweifelt, dass dieser Glaube nicht eine realere Entsprechung hat… das ist, wie wenn Gott seine Hand zurückzieht. Rühre mich nicht an… - sagt Jesus.
Und dann ist da noch etwas: Maria berichtet ja aus diesem Garten… er zieht mich im Gedanken immer wieder an… die mediterranen Bäume, Zeugen des Todes, der Auferstehung, Begegnung, der Hoffnung und des Paradieses… dem Tod folgt ein solcher Garten. Und dann ist da wieder die weinende Maria da… Jesus ist doch wirklich gestorben… so wie jeder Mensch stirbt… eine Lücke hinterlässt, Trauer und Leere… aber Jesus ist schon da mit seiner Achtsamkeit… Maria… wo ich nur auf ihn höre und mich umwende… ein Gärtner, ein Krankenpfleger oder Arzt… ein Freund eine Freundin, da erblüht ein paradiesischer Garten…
- Bäume blühen
- Die Nachtigall singt
- Die Sonne scheint
- Der Osterstrauß ziert unser Wohnzimmer
Der Friede welcher höher ist al alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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