28.09.2025
über Jesaja 58,7-9 (BB); gehalten im Rahmen eines Familiengottesdienstes im Freiberger Dom St. Marien von Dr. Gunnar Wiegand, Pfarrer des Freiberger Doms
Die Lesung Jesaja 58,7-9 (BB) erfolgte separiert als Lesung des Alten Testaments
I Ein Dilemma
Liebe Gemeinde,
wie prächtig ist doch der Altarbereich heute wieder geschmückt. Was für ein herrlicher Anblick. Die vielen Dankesgaben, Erntegaben, gekaufte Lebensmittel. Eine tolle Atmosphäre, eine gute Erntedankstimmung und dann diese Worte des Propheten Jesaja. Wie geht es ihnen jetzt nach dieser Lesung?... Lag da bei Ihnen die Bestätigung, das gute Gefühl oben auf? – Jesaja sagt uns hier sehr deutlich, dass wir unser Brot brechen sollen, wir sollen den Hungrigen etwas von unserem Essen abgeben. Wir sind ja hier, haben das getan – es ist also gut…. Oder beschlich Sie da in ihrem Inneren nicht doch eher das Gefühl: „Oh, Gott, das ist ganz schön heftig, was Jesaja verlangt. Ich habe hier zwar mein Brot oder meinen Sack Äpfel abgelegt. Aber sättige ich damit wirklich die Hungernden dieser Welt? Und was ist da mit den Elenden, den Obdachlosen, den vor Armut Nackten?... mir kommt da ein schlechtes Gewissen…
Ich denke, das gute Gefühl und das schlechte Gefühl beschleichen einen jeden von uns. Beide Gefühle sind berechtigt – und ich glaube auch, dass beide Gefühle Jesaja bei seinen Lesern und Hörern hervorrufen wollte. Ein echtes Spannungsverhältnis. Wie kommt es dazu, dass dieser Text so gemischte Gefühle in uns hervorruft?
II Übertragung der Bilder
Im Mittelpunkt stehen verschiedene Gebote. Am Anfang formuliert sie der Prophet als klare Handlungsanweisungen:
1. Teil dein Brot mit dem Hungrigen.
2. Nimm die Armen und Obdachlosen ins Haus auf.
3. Kleide den Nackten.
Einige Verse weiter schließlich folgen noch zwei Verbote, also Anweisungen, wie wir nicht handeln sollen:
1. Du sollst niemanden unterdrücken.
2. Du sollst nicht mit Fingern auf jemanden zeigen.
3. Du sollst niemanden übel nachreden.
An diesen 6 Geboten, bzw. Verboten gibt es nicht viel zu deuten. Sein Wort richtet sich ganz unmittelbar an das Gottesvolk, ja an uns… So sollen wir miteinander umgehen.
III Auflösung des Dilemmas?
Zurück zu meinen Gefühlen, diesem Spannungsfeld zwischen Befriedigung und Angst. Ja, die Gebote, die Ansprüche Gottes sind im ersten Moment recht eindeutig und lebenspraktisch formuliert. Im zweiten Moment aber wird deutlich: es ist gar nicht so einfach, diese Anweisungen zu verstehen. Der Grund dafür ist: Jesaja gibt keinen genauen Maßstab für die Erfüllung dieser Gebote zur Hand. Ich versuche mich genauer zu erklären:
Wenn Sie einmal in sich gehen, werden Sie vermutlich merken: jede und jeder von ihnen erfüllt mindestens einen kleinen Teil dieser Gebote: sie zahlen Steuern an den Staat und unser Gemeinwesen, sie zahlen Kirchgeld und Kirchensteuern an in Kirche u.a. für soziale Projekte, sie kommen heute an Erntedank in die Kirche und geben etwas von ihren Lebensmitteln für Bedürftige, sie spenden womöglich an Hilfsorganisationen, etc. Kurzum: jede und jeder von ihnen erfüllt bereits Jesajas Gebote.
Auf der anderen Seite jedoch ist da immer noch das Gefühl: ja, das ist zwar alles richtig, aber es könnte ja auch noch mehr sein. Sie könnten noch mehr Kirchgeld zahlen, sie könnten noch mehr Äpfel in den Altarraum legen, Sie könnten noch mehr Geld an Hilfsbedürftige geben usf. Oder schlichtweg die Frage: tun wir eigentlich genug an Nächstenliebe? Müsste ich mich nicht noch – neben meinem Beruf – in einer Obdachloseninitiative, bei der Tafel oder einer Flüchtlingsorganisation engagieren? Sie merken: es fehlt an Jesajas Worten das Kriterium für das Maß unseres Handelns aus Nächstenliebe. Das ist der Grund für die gefühlte Spannung zwischen Befriedigung und Angst…
Was machen wir jetzt damit? Gleich vorab… ich bin der festen Überzeugung: es ist gut, dass Jesaja diese Spannung offenhält… weil sie uns zum Nachdenken zwingt….
Jesaja nennt keine Kriterien, kein Maß unseres Handelns. Man könnte auch sagen: Jesaja nennt uns keine Kriterien, damit wir am Ende „Licht der Morgenröte“ sind. Und damit wirft er uns auf unseren Glauben zurück. Wir glauben. Und aus diesem Glauben tragen wir bereits das rechte Maß unseres Handelns in uns.
Martin Luther hat es in seiner vierten Vaterunserbitte des Kleinen Katechismus so geschrieben: „Wir dürfen aus Gottes Gnaden unser tägliches Brot empfangen und anderen weitergeben. Dafür sollen wir Gott danken“ – also genau das, was wir heute hier in der Kirche tun.
IV Folgerungen für unser Handeln
Ja, unser Heil und unser Handeln hängt am Glauben allein. Und genau in diesem Glauben sind wir bereits vollständig gerechtfertigt. Denn der Glaube wirkt den Wunsch nach diesen Werken der Barmherzigkeit... wie es uns das gewissen vorgibt… Einfacher gesagt: weil wir glauben…
- Teilen wir das Brot mit dem Hungrigen.
- Nehmen wir die Armen und Obdachlosen ins Haus auf.
- Kleiden Nackte – so wie wir es z.B. in der Geschichte von St. Martin kennen.
- Unterdrücken wir niemanden – weder körperlich noch mit Worten.
- Zeigen wir nicht mit Fingern auf die Fehler Anderer.
- Reden wir nicht übel.
Jede und jeder kann selber überprüfen, wie weit er diese Gebote im Alltag erfüllt oder nicht. Es geht auch nicht darum, wie viele Werke wir tun, wie viel Pfund Brot wir hier in den Altarraum legen oder wie viele Stunden wir uns für Bedürftige einsetzen. Wichtig ist, dass wir aufmerksam sind für unser Handeln und die von Gott geforderten Gebote. Und in dieser Aufmerksamkeit muss jeder selbst ergründen, wie weit das eigene Engagement reicht… und vor allem, dass wir unseren Mitmenschen vertrauen… im Geben, aber auch, wenn wir aus Bedürftigkeit empfangen. In anderen Worten: wir brauchen keine Angst zu haben. Wir brauchen für Gott nichts zu leisten. Das, was wir tun ist richtig, wenn wir der Stimme unseres Gewissens folgen.
Und dann ist da noch etwas: insbesondere Jesajas Worte verbieten bestimmte Haltungen und Handlungen völlig…
- Wir haben nicht gegen Bedürftige oder Fremde zu hetzten.
- Wir haben andere Menschen nicht zu beleidigen oder zu beschimpfen.
Jesaja ist hier sehr eindeutig. Luther setzt in seiner Vaterunserauslegung noch einen drauf: die Bitte um das tägliche Brot erstreckt sich zurecht auch noch weiter auf unser Zusammenleben. Er schreibt: „Was heißt denn tägliches Brot? Alles, was Not tut [was notwendig ist] für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung [wir haben heute Oberbürgermeisterwahl], gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.“
Wenn wir all diese Werke, die dem Glauben folgen, im Blick behalten, dann ist unser Handeln gesegnet, dann „bricht dein Licht hervor wie die Morgenröte, und deine Heilung schreitet schnell voran. Deine Gerechtigkeit zieht vor dir her, und die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach.“ Amen.
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