Predigt zum Vorletzten Sonntag des Kirchenjahrs, 16. November 2025

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Predigt zum Vorletzten Sonntag des Kirchenjahrs, 16. November 2025

16.11.2025

über Hiob 14,1-17 (Lut17); gehalten im Dom St. Marien zu Freiberg von Dr. Gunnar Wiegand, Pfarrer des Freiberger Doms

Der Predigttext Hiob 14,1-17 (Lut17) wurde als alttestamentarische Lesung verlesen.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott eurem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Stille…

Liebe Gemeinde,

An einem Herbsttag gehen wir spazieren – dick eingehüllt in warme Kleidung. Der kühle Wind umspielt unser Gesicht. Feuchtigkeit überall und trotzdem ein herrlicher Tag. Auf dem Weg vor uns wirbelt der Wind die Blätter vor sich her; Blätter, getrocknet vom Wind. Es raschelt, die Bäume wiegen sich und rauschen. Klacken von herunterfallenden Ästen, Eicheln, Bucheckern, Kastanien – kein Vogelgesang mehr. Die Blumen auf den Wiesen sind verwelkt. Die Sonne erwärmt leicht goldenes Laub, durchstrahlt es, wie die Kerze die Laterne beim Martinsfest. Wir müssen voranschreiten, die Tage sind kurz, wir wollen zum Ziel, damit uns die Dunkelheit nicht umfängt – Hiobs Lebensbild, Hiobs Todesbild.  

An solchen Herbsttagen, bei Bildern, wie sie im Buch Hiob gedichtet sind, drängen sich zwei Gefühle bei mir auf: zum einen ist da natürlich das Dunkle, das Rauhe, die Kälte, der Verfall. Das macht mich mutlos, macht mir Angst. Ungute Erinnerungen steigen auf: vielleicht Verluste im vergangenen Jahr, vielleicht spüre ich die Last des Lebens mehr als sonst, Krankheit, Ausweglosigkeiten, menschliche Verwerfungen. Ich sehne mich nach unbeschwerten Tagen. Das ist die eine Seite.

Dann aber gibt es auch die andere Seite: in all dem Dunklen und Schwermütigen ist da doch so etwas wie Schönheit, ja Freude. Ein Spaziergang im Herbst, das fallende Laub, die goldenen Blätter, ja selbst die verwelkenden Blumen haben noch etwas Schönes. Sie lassen ein letztes Mal, bevor der Schnee die Landschaft überdeckt, die Herrlichkeit und Wärme des Sommers aufstrahlen.

Angst und Freude, Dunkelheit und schöne Erinnerungen sind die zwei Seiten des Verfalls, des Herbstes. Diese Situation bezieht Hiob nun auf den Menschen: „Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.“ Das klingt fast wie im Brahms-Requiem, das gestern hier im Dom erklungen ist: „Alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen. Das Gras ist verdorret und die Blume abgefallen.“ Hiob erinnert uns daran, dass wir sterblich sind, dass der Verfall, der Herbst zum Leben gehört. Und die beiden Seiten nun, Angst und Freude über den Herbst, können wir auch auf das Ende eines Menschen beziehen. Wie schön ist doch unser Leben! Wie schön waren doch viele Tage unseres Lebens! Wie viel Spaß, welch wunderbare Gemeinschaften, wie viel Freude konnten wir mit vielen Menschen in unserem Leben haben: mit der Familie in der Kindheit, mit Freunden mit Kolleginnen und Kollegen, verflossene Beziehungen unserer Jugend, in Vereinen, hier in unserer Kirchengemeinde. Vielleicht erleben wir das heute nicht mehr so – es ist vergangen und doch bleibt die schöne Erinnerung. Aber vielleicht ist unsere Zeit, unser Leben gerade jetzt auch besonders lebenswert, schön – so wie ein Spaziergang an einem herrlichen Novembertag.

Dann aber ist da eben auch noch die andere Seite: mit jeder Sekunde unseres Lebens nähern wir uns dem unausweichlichen Tod. Jede Sekunde unseres Lebens bringt uns einen Schritt unserem Ende näher. Da ist die Ungewissheit über das, was kommt. Da ist die Erkenntnis: alles Schöne, das wir erleben, all die schönen Erinnerungen werden irgendwann nicht mehr sein. Hiob dichtet: „Sind seine Tage des Menschen bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir, Gott, und du hast ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann.“ Krankheit, Verwesung, Leid erinnert uns daran, dass wir sterben müssen. Gott hat uns diese Grenze gesetzt. Der Tod ist Teil von uns Menschen.

Hiob vergleicht nun den Tod mit dem Gericht Gottes, ja dem Zorn Gottes. Im Tod stehen wir vor Gott und müssen Rechenschaft über unser Leben ablegen. Bei Hiob heißt es: „Im Tod tust du deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.“ Und weiter: „Stirbt aber ein Mann, so ist er dahin; kommt ein Mensch um – wo ist er? … Ach dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt…“

Da ist also im Tod das zornige Gericht Gottes und zugleich taucht noch ein zweites Bild auf: ein Totenreich, das mich vor diesem Zorn bewahrt. Wie sind diese Bilder, Zorn Gottes auf der einen Seite und Totenreich auf der anderen Seite, zu verstehen?

Hiob wird am Beginn des biblischen Buches als ein frommer Mann aus dem Lande Uz beschrieben. Angestachelt durch den Satan erlegt Gott dem Hiob Prüfungen auf, um dessen Treue auf die Probe zu stellen. Hiob verliert zunächst Güter und Kinder, doch er versündigt sich nicht, sondern preist Gott mit den Worten „der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gepriesen.“ Bei dieser Überzeugung bleibt er auch, als ihm Gott auf Zuraten des Satans die Gesundheit nimmt und ihm sogar seine Frau rät, von Gott abzulassen. Man könnte zusammenfassend sagen: Hiob verliert alles in seinem Leben. Hiob hat sein eigenes Leben als Gottesferne erfahren. Er musste sein Leben wie ein Gericht erfahren haben, in dem der Zorn Gottes – durch den Engel Satan vermittelt – unaufhörlich auf ihn einprasselte.

Für mich ist daher das Gericht genau die Bedrückung, die wir in der Stunde unseres Todes erfahren: Angst, vielleicht die Krankheit, das körperliche Gebrechen, das uns in den Tod treibt, die gescheiterten zwischenmenschlichen Beziehungen, Einsamkeit, Unversöhnlichkeiten. All das hält uns Gott in der Stunde unseres Todes wie einen Spiegel vor. Und angesichts des nahen Todes können wir – abgesehen von unserer Reue – auch nicht mehr zurück.

Und in diese Erinnerung an das Gericht und Gottes Zorn taucht nun ein geläufiges, aber doch seltsam anmutendes Bild auf: das Totenreich. Das Scheol, oder der Hades, welches uns bewahrt vor diesem Zorn Gottes. Es ist ein ungewöhnliches Bild, weil Hiob dieses Reich wie eine Art Versteck beschreibt, das uns vor Gott schützt. Ich stelle mir das so vor wie die Matratzenhöhlen, die unsere Kinder manchmal im Kinderzimmer bauen, um sich darin zu verkriechen. Ein eigenes kleines Versteck, ein eigenes kleines Reich. An anderer Stelle spricht Hiob vom Schlaf des Todes oder vom abgehauenen Baum am Wasser. Dieser Schlaf oder dieser Aufenthalt im Totenreich währt solange der Himmel steht. Dieses Totenreich wird beschrieben wie eine Erlösung von Gottes Zorn oder eine Erlösung unserer eigenen schlimmen Erfahrungen: das Ende, das Nichts. Für Hiob scheint es zunächst eine gute Aussicht zu sein, von den Leiden der Welt befreit zu sein. Für Hiob scheint es zunächst besser zu sein in einem Gott-Fernen Totenreich zu schlafen, wie ein Schatten zu wandeln, als dieses grausame Leben in Gottes Zorn zu führen. Wie ist das in ihrem Leben? Gibt es die Situationen, wo sie das Leben als Lebensunwürdig empfunden haben? Gab es die heimlichen Minuten, in denen sie sich den Tod lieber gewünscht hätten, als so weiterzuleben? Was mussten Sie in Ihrem Leben an Peinlichkeiten, Scham, Unzulänglichkeiten ertragen? Haben Sie sich schon heimlich nach Erlösung gesehnt?

Heute ist Volkstrauertag: wir erinnern an die Kriegstoten und Opfer der Gewaltbereitschaft und Gewaltherrschaft in aller Welt. Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Nach dem verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieg Deutschlands lagen 1945 weite Teile Europas in Trümmern. Der Krieg, seine Verbrechen und die Shoa hatten bis zu 80 Mio. Tote zur Folge. Was für ein unsäglicher Irrsinn. So viele Schicksale. So viele Trauernde. Wie musste es damals den Angehörigen der Toten gegangen sein? Haben Sie es noch selber als Kind erlebt? Wie haben Sie die Trauer Ihrer Eltern oder Angehörigen wahrgenommen? Verwerfungen, Vertreibungen, Trauer, Wut, Ohnmacht – ich weiß aus den Erzählungen meiner Mutter, wie viele Familienväter – sofern sie überhaupt aus dem Krieg zurückgekommen sind – in unserem Viertel richtiggehend traumatisiert waren… z.T. gewalttätig gegen die eigenen Kinder oder Ehefrauen. Oder die Vertreibungen… im Haus meiner Großeltern wurden Flüchtlinge aus Schlesien einquartiert… und in all dem die Sehnsucht nach einem Ort des Vergessens, nach einem Ort der Ruhe? Und dann die Frage: Gott warum bist Du so zornig? Warum machst Du das mit uns? Warum waren alle so verbort und konnten keine Augen öffnen dem Unrecht gegenüber?

Doch vielmehr bewegt mich heute die Frage: wo ist das Bewusstsein für dieses Desaster heute geblieben, bei den jüngeren Generationen? Wie ist es aus dieser Erfahrung heraus nur im Ansatz möglich, rechte Gesinnung mit markigen Sprüchen herauszuposaunen? Oder noch schlimmer: gewalttätig gegen Andersdenkende oder Fremde zu sein? Ich verstehe es nicht.

Warum verändern die Erfahrungen, die Hiob oder die Menschen vor 80 Jahren gemacht haben, nicht unsere Haltung? Muss uns erst wieder Gottes Zorn in die Ohnmacht des Totenreichs treiben?

Und dann ist da noch was: da sind die Konflikte und Drohungen des aggressiven Diktators Putin im Osten, die politische Willkür und der Narzissmus Trumps in den USA… die Wehrpflicht soll wieder eingeführt werden. Das fordert heraus oder verunsichert. „Diese Unsicherheit pflanzt sich fort in unserer Gesellschaft. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme erzeugen Frustration und verleiten dazu, nicht nach Lösungen und Kompromissen zu suchen, sondern anderen die Schuld dafür zu geben. Wir beobachten dabei nicht nur die Konflikte außerhalb unseres Landes, nein, auch im Inneren streitet man sich heftiger als früher. Doch wenn sich jeder nur auf sich und seine Interessengruppe beschränkt, dann gewinnen die Feinde der Demokratie. Wir alle brauchen einander und wir brauchen ein Miteinander.“ (Wolfgang Schneiderhahn)

Auch hier: Ohnmacht und Wut… Sehnsucht nach einem Ort des Vergessens, nach einem Ort der Ruhe? Und dann auch hier die Frage: Warum machst Du das mit uns? Warum rüsten wir auf – für den Frieden? Warum nicht einfach Frieden und Sicherheit?

„Setzte mir eine Frist und dann denke an mich!“ – so Hiob. Und weiter fragt der fromme Mann vorsichtig mit einem weiteren Bild, in der er sein Leben mit einem Frontdienst eines Soldaten vergleicht: „Meinst du, einer stirbt und kann wieder leben? Alle Tage meines [Armee-]Dienstes wollte ich harren, bis meine Ablösung kommt. Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde. Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen.“

Es ist da die Hoffnung auf das gute Ende, so wie es auch die austreibenden Äste des gefällten Baumes ausdrücken: „Ob seine Wurzel in der Erde alt wird und sein Stumpf im Staub erstirbt, so grünt er doch wieder vom Geruch des Wassers und treibt Zweige wie eine junge Pflanze.“ Gottes Zorn währt nicht ewig, er verraucht und verkehrt sich ins Gute er hilft denen, die Gott die Treue halten – wie es auch Hiob getan hatte. Am Ende stellt Gott das Glück des Hiob wieder her und gibt ihm doppelt so viel, wie er gehabt hatte.

Und hier taucht auch wieder die andere Seite unseres Lebens auf: wir sind nicht nur von der Angst vor dem Tod geprägt. Es ist nicht nur das Schlimme, die Krankheit. Es ist nicht die Ohnmacht, der Zorn, der uns in Ewigkeit bestimmt. Es ist auch nicht die Sehnsucht nach dem Nichts und der ewigen Ruhe. Es ist die Aussicht auf Versöhnung, auf Gutes, das allen Hass überwindet – so wie wir unser Leben auch im Schönen wahrnehmen können. Wir haben den Glauben an Jesus Christus. Und in dieser Glaubens-Treue wird sich Gott – trotz allen Zorns, aller Widrigkeiten des Lebens – wieder zu uns wenden – so wie einst bei Hiob.

An Herbsttagen, bei Bildern, wie sie im Buch Hiob gedichtet sind, ist da dieses Gefühl: in all dem Dunklen und Schwermütigen des Lebens ist da doch so etwas wie Schönheit, ja Freude. Ein Spaziergang im Herbst, das fallende Laub, die goldenen Blätter, ja selbst die verwelkenden Blumen haben noch etwas Schönes. Sie lassen ein letztes Mal, bevor der Schnee die Landschaft überdeckt, die Herrlichkeit und Wärme des Sommers aufstrahlen.

Und so gehen wir spazieren an diesem kühlen Novembertag. Der Wind weht mir kalt um die Nase. Da ist ein herrlicher Ausblick über die Landschaft. Die Sonne scheint mir ins Gesicht und wärmt mich. Der Windhauch durchweht die bunten Blätter. Sie tanzen durch die Luft.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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