18.08.2024
über Lukas 13, 10 - 17; gehalten im Freiberger Dom von Dompfarrer Dr. Gunnar Wiegand
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Stille…
Predigttext: Lukas 13, 10 - 17 (Lut17)
Liebe Gemeinde,
diese Szene ist ganz deutlich vor meinen Augen. Ein Dorf in Galiläa. Es ist Sabbat – so wie bei uns der Sonntag. Menschen sind in der wahrscheinlich eher beschaulichen Synagoge versammelt. Es gibt einen Vorsteher der Gemeinde. Offenbar geht es dort streng zu. Dieser Mann erwartet, dass das Feiertagsgebot eingehalten wird, die Leute vom Dorf sollen nicht arbeiten… und vermutlich auch brav in die Synagoge kommen.
Heute ist es dort etwas anders als sonst: ein fremder Rabbi, Jesus, ist gekommen als Gastlehrer. Ich spüre die Anspannung und Neugierde bei den Leuten. Möglicherweise ist Jesus sein Ruf schon vorausgeilt. Was Jesus in der Synagoge genau gemacht hat, wissen wir nicht. Auch erfahren wir nicht worüber er gelehrt hat. Und dann auf einmal der Fauxpas: Jesus hält inne. Sieht eine kranke, gekrümmte Frau (Lukas teilt uns mit, dass sie schon 18 Jahre an dieser Krankheit leidet). Jesus unterbricht seine Unterweisung und ruft sie zu sich: „Frau, Du bist erlöst von deiner Krankheit“ – sagt er!... ein erster Schock bei den Beteiligten. Und dann wird es auch noch wahr: die Frau richtet sich auf und preist Gott… Staunen, Freude über dieses Wunder. Und auf einmal ein zweiter Schock: Die Reaktion des Vorstehers: „Was soll das! Heilung am Sabbat! Das Gebot wird gebrochen!“ … Wut… Wut auf das Geschehene… die Gottesdienstordnung durchbrochen, das Gebot gebrochen. Neid? …. Jesus erfolgreicher als er selber, der Chef. Und dann die Reaktion von Jesus: wirsch, hart, zurückweisend, ja auch mit Wut „Heuchler!“ – ruft er. Er missachtet die Stellung des Vorstehers und weist ihn zurecht: „diese Frau braucht Heilung… jetzt“. Keine schöne Szene, Hass, Angstmachend – und trotzdem mit einer heilvollen Tat am Ende. Eine Prise Freude mischt sich hinein.
Jedenfalls, die erste und wichtigste Botschaft Jesu ist klar und prägnant: der Sabbat ist für den Menschen da! Und nicht der Mensch zur starren Erfüllung des Sabbatgebotes. Übertragen in unsere Wirklichkeit: der Sonntag ist nicht ein starrer Selbstzeck. Er ist für die Menschen da. Es darf in bestimmten Situationen auch mal am Sonntag gearbeitet werden: wir müssen uns um unser täglich Brot kümmern, Tiere versorgen (wenn’s nicht anders geht)… das Gesundheitswesen muss natürlich funktionieren… die öffentlichen Verkehrsmittel dürfen fahren… der Kantor darf orgeln, der Pfarrer predigen, der Küster organisieren… – auch am Sonn- und Feiertag… so die Botschaft… aber jetzt noch einmal ein Blick in unsere Realität…
Heute ist es doch eigentlich oft umgekehrt: viele Menschen in unserer Gesellschaft fordern ja noch etwas ganz anderes, sie gehen ja noch viel weiter. Der Sonntag wird immer mehr in Frage gestellt, viele Leute wollen am Sonn- und Feiertag offene Geschäfte, Arbeitgeber (aber auch Arbeitsnehmer) wünschen sich flexible Arbeitszeitregelungen auch an den Wochenenden. Vielen ist das Gebot nicht von großer Bedeutung… ich war in den Sommerferien für einige Wochen in Schweden. Wir haben Freunde besucht. Da war mir zu meiner Überraschung aufgefallen: die Supermärkte und auch viele Geschäfte haben da sonntags geöffnet… Ich muss zugeben. Mein erster Gedanke war: „na das ist ja praktisch, wir können den Einkauf auch später machen…“ Mein zweiter Gedanke (und mein Gewissen) sagte mir: „nein, ich gehe am Samstag einkaufen. Ich will nicht das Einkaufen am Sonntag unterstützen.“ Das Gebot hat seinen guten Grund: es braucht einen Ruhetag in der Woche. Es braucht einen gemeinsamen Ruhetag, damit wir Zeit füreinander haben, gemeinsam Gottesdienst halten können oder – wie letzte Woche – ein tolles Gemeindefest miteinander feiern können. Das geht nur, wenn es einen gemeinsamen freien Tag gibt.
In anderen Worten: die Ausgangslage bei Jesus in diesem Dorf war doch ziemlich unterschiedlich zu der von uns heute. Wie würde Jesus heute in einer schwedischen Kirche reden, was würde Jesus denen sagen, die in Deutschland für die Abschaffung des Sonntags sind? Was würde er zu unserer gesellschaftlichen Situation sagen?
Jesus geht es nicht um die Abschaffung des Sabbats! Natürlich braucht es den Feiertag. Natürlich braucht es die freie Zeit:
- Gemeinsam einen Urlaub genießen.
- An einem herrlichen Sonntag im Schwimmbad ein Sonnenbad nehmen, ein kühles Bad im Wasser, ausgelassen schwimmen, Eisessen, den Wind auf der Haut spüren.
- Wandern gehen – wie die Junge Gemeinde in der letzten Woche durchs Polenztal in der Sächsischen Schweiz.
Aber Jesus will, dass alle das mitmachen können. Er sieht die Not der Frau. Sie kann gar nicht richtig den Sabbat feiern. Sie kann ihr Herz vor Schmerzen oder Angst gar nicht Gott zu wenden. Sie kann sich nicht freuen. Sie ist beeinträchtigt.
Und Jesus sieht das. Ja, Jesus geht noch weiter. Er vergleicht die Not dieser Frau mit dem elementaren Bedürfnis nach Essen und Trinken. Das ist notwendig für unser Leben. Die Teilhabe am Sabbat, an der freien Zeit, die Gott den Menschen schenkt, ist so wichtig wie für den Ochsen und den Esel die Tränke… ein derber Vergleich, eine ganz schön krasse Folgerung, die Jesus zieht.
Ich muss zugeben: klar ist mir Gottesdienst wichtig… das Wort mit meiner Gemeinde zu teilen… gemeinsam am Altar das Sakrament empfangen. Aber so grundlegend, wie ein Grundbedürfnis, wie Essen und Trinken, drängt es mich tatsächlich nicht immer. Diese Geschichte ist für mich also eine mahnende Erinnerung, eine positive Ermutigung: Wort und Sakrament sind wie das tägliche Brot, das tägliche Trinken. Die Frau jedenfalls hat es in die Synagoge zu Jesus getrieben. Sie hat sich vielleicht Hoffnung, Heilung von Jesus erwartet – und bekommen. Die Frau wurde wieder heil, konnte sich aufrichten. Für Jesus ist diese Frau ein Vorbild – trotz ihrer Leiden. Er rückt sie in den Mittelpunkt. Er vertreibt einen krankmachenden Geist. Nun kann sie wieder ganz dabei sein.
Jesus hat sich hier wiedermal als machtvollen Wundertäter erwiesen – wie auch an anderen Stellen bei Lukas. Wir sehen: Jesus hat die Kraft Gottes…. Ich weiß nicht wie Jesus das gemacht hat. Ich weiß nicht was da genau passiert sein soll. Aber es zeigt mir, dass da etwas ist, was nicht von mir kommt. Die Kräfte dieser Welt sind in seiner Hand. Er ist der Herr.
So und nun bin ich hier. Ich bin nicht Jesus. Ich kann nicht Wunder bewirken. Aber ich kann auf die beiden Stoßrichtungen hinweisen: da ist zuerst einmal unser eigenes Wohl (wir wissen ja gar nicht was diese Frau genau für ein Leiden hat – seelisch oder körperlich oder beides zusammen). Ehe wir ans Gotteslob denken, brauchen wir doch leibliche Stärkung. Es braucht auch die Zeit für sich, Zeit der Pflege – körperlich und seelisch. Das aber ist kein Selbstzweck: das Gotteslob in der Gemeinschaft, der Gottesdienst in Wort und Sakrament soll eine echte Mitte unseres Lebens bilden – wie es leider viele Leute gar nicht handhaben.
Denn dann ist das noch was: die Frau richtet sich auf und preist Gott. Das finde ich wohl die bewegendste Szene. Sie hätte einfach „Danke“ sagen können. Sie hätte fragen können: „wie hast Du das gemacht?“ Sie hätte fragen können: „Was kriegst Du dafür?“ Aber sie preist Gott – und damit Jesus gleich mit. Das begreife ich wie eine Art Mahnung: Danke Gott für das Gute im Leben. Ja, ich gebe zu: auch das vergesse ich oft. Gott danken. Gott loben. Gottesdienst als die Mitte unseres Lebens, die Mitte jeder freien Zeit.
Mir kommt ein Satz aus einer Ballade von Bertolt Brecht in den Sinn „Wovon lebt der Mensch“. Dort sagt Macheath: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Sicher müssen die Grundbedürfnisse der Menschen erfüllt sein – darauf zielt Brecht wohl mit der Ballade in erster Linie ab. Jesus würde vor dem Hintergrund der heutigen Geschichte aber ergänzend widersprechen: „die Moral, bzw. in dem Fall die Teilhabe am Sabbat, an der Freizeit, am Gotteslob und das Fressen stehen auf einer Stufe. Neben all dem, was ihr da fordert – keine Unterdrückung, Teilhabe am Reichtum aller, keine sexuelle Ausbeutung – ist das Gotteslob auf der gleichen Ebene.“
Wir sehen an dieser Geschichte:
- Jesus will, dass der Sonn- und Feiertag geheiligt wird.
- Jesus will aber auch, dass das nur als starre Regel aufgefasst wird. Er wünscht, dass alle daran teilhaben können mit ihrem ganzen Herzen. Um das gut zu ermöglichen, darf auch dahingearbeitet werden.
- Das Gotteslob ist so wichtig wie Essen und Trinken.
- Und Jesus allein hat die Macht, böse Geister zu vertreiben.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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